Gegenwart und Zukunft der US-Militärpräsenz in Deutschland

von Dr. David Sirakov

Mit seinem dpa-Interview hat der Botschafter der USA in Berlin, Richard Grenell, erneut für Aufsehen gesorgt: “Es ist wirklich beleidigend zu erwarten, dass der US-Steuerzahler weiter mehr als 50 000 Amerikaner in Deutschland bezahlt, aber die Deutschen ihren Handelsüberschuss für heimische Zwecke verwenden.”

Vorausgegangen waren Tweets des Botschafters, in denen er einen Abzug von US-Truppen in Aussicht stellte, sollte Deutschland das in der NATO vereinbarte Ziel, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern, nicht erreichen. Ein Ort für eine mögliche Verlegung schien dabei ebenfalls bereits gefunden zu sein, da der Botschafter die Meldung seiner Amtskollegin in Warschau, Georgette Moosbacher, retweetete, in der sie darauf aufmerksam machte, dass Polen seine Verpflichtungen erfülle und sich freue, US-Truppen aus Deutschland willkommen zu heißen.

Die Äußerungen des Botschafters kommen allerdings alles andere als überraschend und sind auch nicht neu. Bereits mehrfach thematisierte Grenell mit dem Außenhandelsüberschuss gegenüber den USA und der Nichterfüllung des 2-Prozent-Ziels zwei aus Sicht der Trump-Administration problematische Verhaltensweisen Deutschlands. Die Verknüpfung dieser Kritik mit der US-Präsenz in Deutschland wurde von Trump ebenso schon im Sommer 2018 vor dem NATO-Gipfel in Brüssel geäußert. Der Zeitpunkt von Grenells Aussagen folgt also einem Muster, steht doch der Europa-Besuch (ohne Deutschland) des US-Präsidenten vom 31. August bis 3. September kurz bevor. Mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen während des G7-Gipfels in Biarritz soll anscheinend in den zentralen Politikfeldern Druck aufgebaut werden und – entlang des Mottos „teile und herrsche“ – ein Keil zwischen die europäischen Partner getrieben werden. Eine Vorgehensweise, die an den Verteidigungsminister George W. Bushs, Donald Rumsfeld, („das alte und das neue Europa“) erinnert.

Doch die neuerliche Kritik des US-Botschafters und der Trump-Administration gibt Anlass genug, einen tieferen Blick auf die Präsenz amerikanischer Truppen in Deutschland zu werfen. Wie viele Amerikanerinnen und Amerikaner leben im Kontext der US-Stationierung in Deutschland? Mit welchen Kosten ist dies für die USA und Deutschland verbunden? Welcher Nutzen für beide Staaten steht dem entgegen? Und schließlich, wie wahrscheinlich ist ein (teilweiser) Truppenabzug aus Deutschland?

Zahlen zur US-Truppenpräsenz

Entlang der aktuellen Zahlen des Defense Manpower Data Center vom März 2019 sind 35.554 Angehörige der US-Streitkräfte in Deutschland in etwa 20 Stützpunkten mit mehr als 30 Standorten stationiert. Hinzu kommen 11.345 amerikanische Zivilangestellte. Die Zahl der Angehörigen der Soldatinnen und Soldaten sowie der Zivilangestellten ist hingegen nicht eindeutig bezifferbar. Entlang bekannter regionaler Zahlen kann deutschlandweit von zusätzlich bis zu 45.000 ausgegangen werden. Für die in Rheinland-Pfalz gelegene Kaiserslautern Military Community bedeutet dies, dass sie mit etwa 50.000 Amerikanerinnen und Amerikanern (Stand 2015) die größte Militärgemeinde außerhalb der Vereinigten Staaten darstellt.

Kosten der Stationierung

Die Aufrechterhaltung der Vielzahl an Standorte schlägt laut US-Verteidigungsministerium jährlich mit ca. 6,6 Mrd. US-Dollar zu buche. Hinzu kommen Dienstleistungen wie bspw. Bauplanungen sowie geldwerte Vorteile durch die kostenfreie Zurverfügungstellung von Liegenschaften durch Deutschland, die laut einer Schätzung des amerikanischen Think Tank RAND Corp. ca. 1 Mrd. US-Dollar für das Jahr 2009 betrugen. Nimmt man den durchschnittlichen Anstieg der Mieten der vergangenen zehn Jahre in Deutschland von etwa 10 Prozent in Anschlag, ist von einem finanziellen Engagement Deutschlands von mehr als einer Mrd. US-Dollar auszugehen. „Kosten“ durch Lärmbelästigungen und Umweltschäden, die im Zusammenhang mit Militärliegenschaften häufig anfallen, sind dabei noch nicht eingerechnet.

Insgesamt belaufen sich die kalkulierbaren Stationierungskosten für die US-Truppen in Deutschland somit auf knapp 8 Mrd. US-Dollar.

Win-Win-Situation

Angesichts der signifikanten Kosten der Stationierung stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Nutzen. Dieser ist – entgegen dem durch Botschafter Grenell erweckten Eindruck – nicht ausschließlich für Deutschland in Form des Schutzes gegeben. Vielmehr handelt es sich um eine Win-Win-Situation für Deutschland, die USA und auch die europäischen NATO-Mitglieder. Die Stationierung amerikanischer Truppen in Deutschland dient zu einem beträchtlichen Teil dem Schutz der europäischen Partner, neben Deutschland eben auch Polen oder den baltischen Staaten.

Ein zweiter ebenso bedeutender Grund für die Truppenpräsenz ist im außen- und sicherheitspolitischen Selbstverständnis der Vereinigten Staaten zu finden. Eine Nation, die als Weltordnungsmacht die eigenen Interessen global zu vertreten versucht, ist auf ein weltumspannendes Netz an Militärbasen angewiesen. Deutschland bietet hierfür besondere Voraussetzungen. Zum einen verfügen die USA über in den vergangenen 74 Jahren entstandene und stetig modernisierte als auch ausgebaute Standorte, die aufgrund ihres Zuschnitts auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Bereiche des US-Militärs ideale Einrichtungen darstellen. Zum anderen ist Deutschland eine politisch stabile, sichere und freundschaftliche host nation. Und so finden sich hier nicht nur die Europa-Kommandos von Army (Stuttgart) und Air Force (Ramstein Air Base), sondern auch die jeweiligen Afrika-Kommandos (Army: Stuttgart; Air Force: Ramstein Air Base). Hinzu kommt die zentrale Bedeutung der Luftwaffenbasis Ramstein als Drehkreuz für Truppen- und Materialtransporte nach Europa, Afrika sowie den Nahen und Mittleren Osten als auch als Standort für die "Planung, Überwachung und Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen", also eine Relaisstation für die Weitergabe von Steuerungsbefehlen bei Drohnenangriffen im Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika. Welchen Stellenwert die Ramstein Air Base in den globalen Sicherheitsüberlegungen der USA einnimmt, zeigt die Entscheidung, das bereits größte US-Militärkrankenhaus in Landstuhl durch einen moderneren und noch größeren Komplex im benachbarten Weilerbach zu ersetzen. Hierfür hat der US-Kongress bereits knapp 1 Mrd. US-Dollar bewilligt.

Für Deutschland ist der wirtschaftliche Faktor nicht zu unterschätzen. Die US-Standorte befinden sich überwiegend in Regionen, deren wirtschaftliche Stärke begrenzt ist. Als Arbeitgeber beschäftige z.B. die Kaiserslautern Military Community im Jahr 2015 zudem 6.025 host nation employees, also deutsche Angestellte. Deutschlandweit sind es ca. 14.500. Die Kaufkraft der Amerikanerinnen und Amerikaner tragen vielerorts entscheidend zur lokalen Wirtschaft bei. Sie kaufen in den Supermärkten ein, gehen in Restaurants essen, mieten Wohnungen und Häuser und das Militär vergibt Bau- und Serviceaufträge. Entlang regionaler Kennziffern kann davon ausgegangen werden, dass sich die wirtschaftlichen Effekte deutschlandweit in einer Größenordnung von etwa 3 bis 3,5 Mrd. US-Dollar jährlich bewegen.

Vollständiger Truppenabzug unwahrscheinlich

Die in die Äußerungen Grenells hineininterpretierte Drohung eines vollständigen Abzugs der US-Truppen aus Deutschland ist vor dem Hintergrund der genannten Vorteile für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik äußerst unwahrscheinlich. Hinzu kommen die Kostenschätzungen für eine solche Verlegung, die laut der außen- und sicherheitspolitischen Plattform War on the Rocks binnen der ersten Jahre schnell mehr als 10 Mrd. US-Dollar verschlingen würde. Überdies würden die USA Investitionen im Gesamtumfang von 5,8 Mrd. US-Dollar zurücklassen. Von den Folgekosten für neue Formen der Machtprojektion ganz zu schweigen. Und der Zeitfaktor bei einem solchen Abzug ist ebenfalls einzurechnen. Allein die Verlegung des Europa-Kommandos der US-Army von Heidelberg nach Wiesbaden hat über zehn Jahre gedauert. Ein vollständiger Abzug der US-Truppen würde eine deutlich längere Zeit in Anspruch nehmen.

Auch die von den USA im September 2018 verkündete Aufstockung der US-Truppen in Deutschland um 1.500 Soldatinnen und Soldaten scheint mit Blick auf die Aktivierung der 41st Field Artillery Brigade in der Oberpfalz in vollem Gang zu sein. In Rheinland-Pfalz sind Investitionen von US-Seite von insgesamt knapp 2 Milliarden Dollar bis 2023 geplant.

Eine Verlegung von Teilen des US-Militär hingegen ist jedoch stets möglich und unterliegt zumeist strategischen Einschätzungen in Washington, DC. Diese Erfahrungen haben bereits einige Standorte in Deutschland gemacht. In der Folge der Neuorganisation der US-Europapräsenz im Jahr 2004 kam es zu einer deutlichen Reduktion der US-Truppen und -Standorte in Deutschland. Ein für die Macht- und Interessenprojektion der USA in Europa, Afrika sowie den Nahen und Mittleren Osten notwendiges Maß an Militärpräsenz blieb erhalten. Daran wird sich so schnell nichts ändern.