The Biden Presidency: Will hope and history rhyme?

von Nina Thomsen

Joseph R. Biden hat wie seine Vorgänger G.W. Bush und Obama für seine Präsidentschaft angekündigt, die polarisierten und in politisches Sektierertum gespaltenen Amerikaner zu einen: Dafür kündigte er an, bestimmte Ursachen wie die sozioökonomische Ungleichheit, den Klimawandel, den Einfluss nichtstaatlicher Geldgeber und die Erosion von Demokratie und multilateraler Grundordnung ins Visier zu nehmen. Unter seine Lösungsvorschläge fallen das ökonomische Konzept „save the middle class to save America“ und die Rückkehr des wollwollenden Hegemons durch die Wiederbelebung faktenbasierter, multilateraler Verhandlungen unter Einbezug der Verbündeten, Stärkung globaler Institutionen und militärischer Instrumente als letztem Mittel. Insgesamt sollen bestehende Sicherheitsbedrohungen eingedämmt und die core american values der Machtkontrolle und -beteiligung zur freiheitlichen Entfaltung der Mehrheit rückerobert und global etabliert werden: Nach erfolgreicher Ursachenbeseitigung wäre auch die Chance auf Reaktivierung des amerikanischen Versprechens unter demokratischer Machtkontrolle gegeben. Insbesondere mit der Wiederermöglichung sozialer bzw. ökonomischer Mobilität wäre eine der zentralen Ursachen bestehender, tiefer Gräben zwischen Amerikanern beseitigt und damit eine Versöhnung des Landes eingeleitet. Aber kann Bidens Rhetorik Benjamin Franklins Diktum „Well done is better than well said“ von 1737 standhalten?

„As a nation, we have to prove to the world that the United States is prepared to lead again – not with the example of our power but also with the power of our example“. Bereits früh im Wahlkampf sowie zu Beginn seiner Amtszeit machte Joe Biden deutlich, dass er den Rückzug der Vereinigten Staaten von der globalen Führungsposition rückgängig machen will. Er knüpft damit an das klassische amerikanische Grand Strategy-Ziel an, durch den Erhalt und Ausbau amerikanischer Führungs- und Ordnungsmacht die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Zur Stärkung der ökonomischen und sicherheitspolitischen Vormacht bleiben die Instrumente der Wahl weiterhin die US-Informations- bzw. Weltraum- und Meeresüberlegenheit. Die Informationsüberlegenheit auf der Basis von Satellitentechnologie bzw. hochleistungsfähigen Tiefseeglasfaserkabeln im Kontext der sich vollziehenden 4ten industriellen Revolution ist für die Sicherung ökonomischer Vormacht unabdingbar. Dasselbe gilt für die militärische Vormacht zur Erlangung der gleichzeitigen Kontrolle sämtlicher militärischer Einsatzebenen (Full Spectrum Dominance) im Zeitalter von Präzision und damit Schlagkrafterhöhung im Militärwesen durch u.a. Einbezug von Hyperschallatomwaffen.

Die Umsetzung der aufgeworfenen Konzepte auf Basis des Grand Strategy-Ziels erfolgt auf der Grundlage gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Zunächst soll hier die extreme Polarisierung innerhalb der US-Bevölkerung genannt werden. Sie hat sich jüngst in der hohen Wahlbeteiligung und den Rekordergebnissen für Joe Biden und Donald Trump gleichermaßen gezeigt. Die Unterstützung Trumps ist u.a. auf die Strategie Nixons zurückzuführen, die entwickelte Spaltung innerhalb der amerikanischen Bevölkerung aufzugreifen. Mit der Ausrichtung auf Identitätspolitik bzw. Emotionalität anstelle faktenorientierter policy-Debatten konnten enttäuschte „Mittelschichtsdemokraten mit politisch gemäßigter, „mittlerer“ Ansicht“ (Lepore 2020: 774) für das republikanische Lager gewonnen werden. Die mit dem Rechtsruck der Republikanischen Partei initiierte und sich seit den 1980er Jahren vollziehende Konservative Revolution, welche Effekte wie die konstante Zunahme an sozioökonomischer Ungleichheit und schlussendlich eine Fokussierung auf das militärische Instrument erzeugte, brachte spürbar werdende schwindende soziale Mobilität, soziale Funktionalität, Machtteilhabe bzw. -kontrolle für die Mehrheit der Amerikaner (Hacker/Pierson 2010; Kaghado 2018; Price/Edwards 2020) mit sich: „Multivariate analysis indicates that economic elites and organised groups representing business interests have substantial independent impacts on US government policy, while average citizens and mass-based interest groups have little or no independent influence“ (Gilens/Page 2014). Hierbei ist auch die Bekämpfung von Gewerkschaften zu beachten (Valenti 2018).

Die Zweiteilung der Amerikaner in „Blau“ und „Rot“ wurde darüber hinaus durch die Manipulation von Wahlkreisgrenzen verstärkt: Beide Parteien zogen mithilfe von Wählerprofilen und Computertechnologie die Grenzen der Kongresswahlkreise mit dem Ziel neu, ihre Ämter zu behalten und die Zahl der umkämpften Wahlkreise zu minimieren. Weiter trug die Digitalisierung samt veränderter Informationsgewinnung, Konzentration der Medieneigentümer, das Aufkommen konservativer Medienunternehmen und die Entstehung von echo-chambers durch Informationsgewinnung aus der immer gleichen, spezifische Weltanschauung vorgebenden Quellen dazu bei (Obama 2020:346).

Die Enttäuschung über die mangelnde Chance zur Einlösung der amerikanischen „Möglichkeiten“ führte zur Unterstützung des Außenseiterkandidaten Trump bzw. seiner offen praktizierten Auflösung der nach 1945 eingerichteten, regelbasierten Weltordnung. Zudem beförderte sie ein hohes Engagement unterschiedlichster Amerikaner für den Kandidaten Biden und sein postuliertes Ziel, dem Durchschnittsamerikaner wieder Gehör zu verschaffen.

Zwar verfügt der Kongress aktuell über eine demokratische Mehrheit, aber ein „Durchregieren“ Präsident Bidens wird angesichts Polarisierung, mangelndem demokratischen Konsens nach Wegfall des „gemeinsamen Feindes Trump“ bzw. filibuster-Möglichkeiten schwierig. Das Abstimmungsverhalten wird zudem spezifisch ausgeprägt durch die Beeinflussung amerikanischer Repräsentanten mittels Lobbygruppen, transnationaler Konzerne und „empowered individuals“. Insbesondere seit dem Urteil des Supreme Courts von 2010, Citizens United v. Federal Election Commission, eröffnet ein möglich gewordener unbegrenzter Geldfluss in Wahlkampagnen sowie die Einordnung von Politik als Risikokapitalanlage den obengenannten Akteuren Korruptionschancen, da unbegrenzte Geldbeträge für bevorzugte Kandidaten praktisch ohne Offenlegung der Quelle zur Verfügung gestellt werden können. Unter diese Kandidaten fallen Kongressabgeordnete, aber auch Präsidenten und mittelbar Regierungsverantwortliche. Zwar gibt es einen Schwellenwert finanzieller Unterstützung von Wahlkampagnen, ab dem kein Mehrwert für die Wahlchance erreicht werden kann, d.h. die Höhe des Wahlkampfbudgets bestimmt nicht automatisch das Wahlergebnis. Damit führen Wahlkampfspenden allein nicht zu „präferierten Zuständen“. Erfolgsversprechender ist es, diese Formen von Lobbying mit langfristig angelegten zu kombinieren: Darunter fallen beispielsweise direktes Lobbying, unmittelbare Überzeugung des Kandidaten durch den Lobbyisten oder gezielten Gerichtsverfahren, die durch weite Auslegung die ursprüngliche juristische Auslegung in die gewünschte Richtung verschieben. Dazu sind die Förderung von Denkfabriken, Medienorganen oder Lehrstühlen zu addieren (vgl. Hebenstreit in https://www.youtube.com/watch?v=_3xFbDg3zsE, 1:06f.). Insgesamt könnte die so durch Al Gore (2013: 108f.) identifizierte Einflussdominanz nichtstaatlicher Akteure auf Vertreter des Regierungsapparates ein präsidiales „Durchregieren“, auch unter den günstigen Vorzeichen der geeinten Regierung erschweren. Dies erklärt sich aus Interessen, die sich nur mit einer bestimmten Partei durchsetzen lassen, da sie ideologisch aufgeladen sind. Genauso ist das Gegenteil möglich: Interessensvertreter könnten die sich anbahnende Zweiteilung der Republikanischen Partei in radikalere „Trumpists“ und gemäßigtere Konservative für sich nutzen, indem sie die letzteren und die gemäßigteren Biden-Demokraten für sich gewinnen. Damit könnte auch ein filibuster ausgehebelt und in Folge ein „Durchregieren“ erreicht werden. Dieses wird aber eher Partikularinteressen befördern als die Interessen des forgotten man, die Biden als Ziel formuliert.

Als zweites ist ein seit 1993 linear ansteigendes Sicherheitsbedrohungsvolumen zu nennen: Dieses entsteht übergeordnet aus komplexen Wechselwirkungen zwischen der Abwehr symmetrischer und asymmetrischer Bedrohungsgegenstände im Zusammenhang mit amerikanischer Grand Strategy-Zielumsetzung im Kontext globaler Rahmenbedingungen (S. 730). Zu diesem global wirkenden Rahmen zählt einmal der lineare Anstieg der Weltbevölkerung unter spezifischen demographischen Vorzeichen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Damit steht ein hoher Anteil junger Menschen in der dritten Welt der Überalterung der ersten Welt gegenüber. Weiter ist die Digitalisierung des ökonomischen und militärischen Sektors anzuführen, die hohen Ressourcenverbrauch bzw. Treibhausgasausstoß mit sich bringt.

Der enorme, während des Kalten Krieges aufgebaute Militärapparat wurde seit dem Anbruch des unipolaren Zeitalters konstant unter Präzision, also Schlagkraftintensivierung verstärkt. Dies hing u.a. mit der wechselseitigen Abhängigkeit von militärischer und ökonomischer Vormacht und der benötigten militärischen Vormacht zur Sicherung der ökonomischen zusammen. Gekoppelt mit der seit Reagan deregulierten Marktwirtschaft lies all das einen Anstieg an Ressourcenallokation bzw. -konkurrenz bei rückläufigen Rohstoffvorkommen, an Schlüsselregionserweiterung, an Produktion, an Distribution der Güter und an Demokratisierung des Konsums möglich werden. In Folge erhöhte sich die US-Gefechtsbereitschaft auf Informationsüberlegenheit und damit die Digitalisierung bzw. der Energieverbrauch samt Implikationen: Darunter fallen u.a. Klimawandelauswirkungen oder Konkurrenz mit Aufsteigern um Ressourcen und Einflusssphären. Entstehende Effekte, die das Niveau an Sicherheitsbedrohung erhöhen, sind sodann „Bedrohungsverstärker“, wie systemimmanente Finanzkrisen, stagnierendes globales Handelswachstum (peak trade), Abbröckeln der Dollar-Hegemonie und Klimawandelschübe. Hierbei ist insbesondere auf die deutlich werdende Instabilität im Finanzwesen vom September 2019, wenige Monate vor dem Ausbruch der globalen Covid 19-Krise, hinzuweisen, die verdeutlichte, dass der durch die Notenbanken ermöglichte Finanzmarktboom am Zusammenbrechen war. Weiter sind erreichtes Ressourcenfördermaximum, fortschreitender Ressourcenverlust, welche künftiges globales Wachstum unterbinden (peak everything), Migrationsströme und das Erstarken nichtstaatlicher Akteure wie Cyberkriminalitätsgruppen zu berücksichtigen. Als Folge der weltweiten Ausbreitung amerikanischer Wirtschafts-, Bebauungs-, Ernährungs- und Konsummuster mit einem Anstieg an Digitalisierung, Robotisierung und Transhumanismus wurde zudem eine globale zwischenstaatliche und innerstaatliche sozioökonomische Asymmetrie eingeleitet. Damit lag hohe Staats- und Privatverschuldung einerseits, Realwirtschaftstransformation durch Digitalisierung und Deregulierung von Arbeitsmärkten, stagnierende Chancen zur Vermögenswertsteigerung und maximale Vermögensoptimierung für die globale Vermögenselite vor. Dies förderte den Einfluss derselben bzw. der informellen Netzwerke unter Ausbildung eines „international financial leadership, self-selected at Davos“ (McCoy 2017: 234) und privater Sicherheitsdienstleister wie auch Vermögensverwalter bzw. transnationaler Konzerne und von NGOs auf Institutionen, Entscheidungsträger und policy-Prozesse in spezifischer Weise: Profitmaximierung rangierte vor Nachhaltigkeit bzw. globaler Kooperation.

All das ließ ab 1993 die Chance zum Ausbau des Grand Strategy-Ziels geringer, den Fokus auf das militärische Instrument und klassische Machtpolitik konstant intensiver werden: Die Bedrohungsabwehr, beispielsweise in Afrika und Nahost, konnte ihre Wirkung nur kurzfristig entfalten und erzeugte Zonen des Ordnungsverlustes unter Aufständen lokaler Gruppen. Weiter ist in diesem Zusammenhang der Zerfall der Sowjetunion samt Auswirkungen auf das Gesamtbedrohungsvolumen und die Stabilität des Internationalen Systems anzuführen. So der zweifache ehemalige US-Verteidigungsminister Gates: „The failure of post-Cold War presidents and congresses to recognize, resource, and use the arsenal of nonmilitary assets that proved of critical importance in the long contest with the Soviet Union. It lies in their failure to understand that our place in the world (…) depends (…) also on reimagining and rebuilding those nonmilitary tools. The answer is (…) the failure of too many of our recent political leaders to understand the complexity of American power, both in its expansiveness and in its limitations“ (Gates 2020:10). Zusätzlich begünstigte die Transformation im US-Militärwesen und ausgeübte US-Bedrohungsabwehr die Hinwendung zur US-Weltraumhoheit, da Satellitenhoheit für die Informationsüberlegenheit, für militärische wie auch ökonomische Vormacht, zentral ist. Dies förderte den Spannungsaufbau mit China und Russland, die ihre Einflusssphären ausbauten bzw. zementierten. Die Sicherheitsbedrohung war so nicht abgewendet. In Folge wurde der militärische Einsatz verstärkt (Gates 2020). Dieser Anstieg am Einsatz militärischer Instrumente brachte konstante Anpassung der Sicherheitsgewährleistung wie u.a. die Präaktivität, die Auflösung der bisherigen Trennlinie zwischen Präemption und Prävention mit sich. Damit konnte eine Bedrohung, deren unmittelbare, konkrete Wirkung nicht vorlag, als solche interpretiert und militärisch beantwortet werden. Das Verbot von Angriffskriegen als Lehre aus zwei Weltkriegen war somit verwässert: In Folge war die Machtkontrolle Vieler durch Aufweichung des allgemeinen Gewaltverbotes gemäß Art. 2 Nr.4 UN-Charta, durch völkerrechtliche Erosion, aufgeweicht. Zudem trug zum Verlust der Machtkontrolle durch die Mehrheit der Weltbevölkerung die immer umfassendere globale Datensammlung, oder der zunehmende Einsatz von Spezialeinheiten bzw. Drohnen außerhalb des geltenden Völkerrechts bei. Diese Anpassung in Kombination mit ökonomischem Vormachtsausbau der USA und anderer Staaten trieb die Erosion der multilateralen Grundordnung des internationalen Systems voran.

Covid 19 hat auf der Basis obig geschilderter Entwicklungen, „eine Polypandemie verursacht, die Entwicklungsfortschritte unterminiert, nationale bzw. globale Ungleichheit, Autoritarismus, staatliche Fragilität und letztlich gewaltsame Konflikte befördert und internationale Zusammenarbeit weiter untergräbt (…) Indem die Polypandemie den Großmachtwettbewerb innerhalb multilateraler Institutionen anheizt und nationalistische und protektionistische Einstellungen bekräftigt, vermag Covid 19 die Krise des Multilateralismus weiter zu verschärfen“.

Insgesamt sinkt die Chance zur Machtteilhabe bzw. -kontrolle auf nationaler und globaler Ebene für die Mehrheit weiter. Polarisierung, zunehmender Einfluss nichtstaatlicher Akteure sowie ansteigende Sicherheitsbedrohung unter Berücksichtigung der „Covid-19-Polypandemie“ und der Aushöhlung des Mittelstandes befeuern Nationalismus, Rassismus und Radikalismus bzw. soziale Unruhen. Dies verleiht der Schwächung der multilateralen Grundordnung einen zusätzlichen Schub.

Bidens Konzept zielt übergeordnet auf die angedachte Reaktivierung von Machtteilhabe und -kontrolle für viele Menschen durch Abbremsung der Auslöser von US-Polarisierung bzw. des Sicherheitsbedrohungsvolumens ab. Dessen Umsetzung könnte durch Folgendes gehemmt werden: Hier ist einmal die auf Basis der UN-Agenda 2030 im WEF angestoßene Intensivierung der 4tenindustriellenRevolution zu nennen, die Biden mitbefördert. Eine Eindämmung drohender sozialer Unruhen aufgrund des oben Erläuterten soll durch umfassende globale Digitalisierung im Verwaltungs-, Bildungs-, Gesundheits-, Wirtschafts- bzw. Finanzwesen und Arbeitsmarkt erfolgen.

Die Basis dieses Ausbaus bilden der „Surveillance Capitalism“, ein System, das durch Algorithmen persönliche Daten generiert und analysiert, um daraus Vorhersagen für Konsum zu gewinnen und über deren Nutzung Gewinn zu erwirtschaften sowie die durch Edward Snowden aufgedeckte staatliche Überwachung Vieler. Des Weiteren sind in Bezug auf diese Basis die durch Biden 1991 vorgeschlagenen, nicht verankerten Comprehensive Counterterrorism Act und Violent Crime Control Act anzuführen, die beide effektiv die Verschlüsselung durch private Nutzer verbieten: Anbieter sicherer Kommunikation hätten nach diesen bestimmte „Fallen“ in ihre Produkte einbauen müssen, die es der Regierung ermöglicht hätten, verschlüsselte Nachrichten von jedermann zu lesen. Weiter ist in diesem Zusammenhang an Bidens Einführung des Communications Assistance for Law Enforcement Act (CALEA) von 1994 zu erinnern, indem Kommunikationsanbieter angehalten werden, ihre Produkte an eine künftige gezielte Überwachung durch Staatsorgane anzupassen. Biden verfolgte diese eingeleitete Stoßrichtung mit der Ankündigung eines Gesetzes zur Erweiterung der Regierungsüberwachung von 1995, den Omnibus Counterterrorism Act, welcher scheiterte und später in den von ihm unterstützten Patriot Act von 2001 einfloss. 2006 wandte er sich vehement gegen die Massenüberwachung durch die G.W. Bush-Administration, unterstützte aber die Fortführung derselben durch Obama, ermöglicht durch Schlupflöcher des American Freedom Act. Diese „Trojaner“ sind u.a. die Erlaubnis zu spezifischem Abhören oder die Übergabe der Verantwortung für Cyber-Sicherheit an die NSA.

Als mögliche Konsequenz oben genannter Machtstärkung globaler digitaler Konzerne auf dieser Faktenlage könnte Folgendes begünstigt werden: Nämlich der Ausbau technokratischer Überwachung von rivalisierenden Machtzentren auf transnationaler, regionaler, lokaler und individueller Ebene unter Machtverlagerung von etablierten Institutionen oder Staaten hin zu „nichtstaatlichen, lockeren Netzwerken“. Insbesondere der angedachte Transhumanismus, die Fusion von physischen, biologischen und digitalen Identitäten, würde dies verstärken. Die sich so etablierende Fähigkeits- und Informationsasymmetrie bzw. Zweiteilung in „Überwachende und Überwachte“ ist eher geeignet, die bestehende sozioökonomische Asymmetrie zu fördern, anstatt einzudämmen. Damit verstärkt sich der Druck auf die Mittelklasse und verschwindet die Chance auf das Streben nach Glück weiter. Kommt zu diesem Anstieg der globalen und nationalen sozioökonomischen Ungleichheit noch die Bekämpfung des Transhumanismus, der biologischen Erweiterung des Menschen durch Technik wie bei „Designerbabies“ durch republikanische „pro-life“-Befürworter dazu, könnte sich die amerikanische Polarisierung vertiefen. Der amtierende Präsident möchte unter amerikanischer Führung die forcierten Zukunftstechnologien an Gesetze, Ethik und Kontrolle binden: „The U.S. should lead in shaping the rules, norms, and institutions that will govern the use of new technologies, like AI. Through diplomacy and development finance, we can work with democratic allies to provide countries with a digital alternative to China’s dystopian system of surveillance and censorship“. Bidens bisherige Unterstützung der juristischen Überwachungsgrundlagen, der gestiegene Einfluss nichtstaatlicher Akteure auf Entscheidungsträger sowie der hohe Anteil an Wahlkampfspenden aus bzw. Wahlkampfmitarbeitern in engem Verhältnis zu Silicon Valley könnte aber auf die Unterstützung der angedachten Überwachungstechnokratie hindeuten. Dies würde die freie Entfaltung der Mehrheit empfindlich schwächen. Gegen eine Unterstützung von Überwachungstechnokratie spricht die sich in der Covid 19-Krise besonder deutlich gewordene Kapitalkonzentration der Tech-Konzerne im Eigentum weniger Milliardäre , „that would make a robber baron blush“: Es besteht herrscht Konsens zwischen Demokraten und Republikanern, dass die Technologie-Industrie zu mächtig geworden ist, dies die ökonomische Ungleichheit verstärkt und die Rechte der Arbeitnehmer schwächt.

Als zweites sind Effekte der 4ten industriellen Revolution und angedachte Sicherheitspolitik Joe Bidens zu nennen: Bidens angedachte Reduktion von Sicherheitsbedrohungen und -verstärkern durch Klimawandelbekämpfung oder Maßnahmen zur globalen Teilhabe an sozialer Mobilität, Gesundheit und Ökonomie wird von vielen Akteuren unterstützt. Die Verstärkung der sich global vollziehenden 4ten industriellen Revolution bringt aber auch bei engagiertem Umstellen auf alternative Energieträger und Recycling aufgrund des anwachsenden Digitalisierungs- bzw. Weltbevölkerungsniveaus einen Anstieg an Ressourcenallokation und Treibhausgasen bei rückläufigen Rohstoffvorräten (peak everything) mit sich.Damit konterkariertdie Weiterführung der 4ten industriellen Revolution Bidens engagiertere Klimawandelbekämpfung. Folglich liegt insbesondere bei Umstellung auf „grünes Wirtschaftswachstum“ geoengineering nahe. Die Eingriffe in das Klimasystem durch geoengineering könnten aber durch mögliche globale Auswirkungen die globale sozioökonomische Ungleichheit steigern. Zudem könnten sie die Polarisierung erhöhen: So wurde beispielsweise der durch Bill Gates 2021 kommunizierte Schutzschild um die Erde zur Verdunkelung der Sonne und damit Senkung der globalen Erwärmung von Amerikanern mit „I am not a fan of Gates playing god“ in sozialen Netzwerken kommentiert.

Ein weiterer Effekt könnte eine Zunahme der Spannungen mit Großmächten sein: Der Ausbau der Digitalisierung benötigt Rohstoffe wie Mineralien. Hierbei ist Chinas Überlegenheit in der Mineralienförderung anzuführen. Die Stärkung von US-IT-Technologie würde - unterstützt von US-Alliierten - die seit 2009 durch China initiierte technologische Spaltung der Welt in zwei Sphären zugunsten der USA rejustieren und die sino-amerikanische Vormachtsrivalität anheizen. Zusätzlich befördert wird Konkurrenz durch folgende Ziele Bidens: Konkret soll die Wiederbelebung der Instrumentenvielfalt bzw. der Rückbau militärischer Einsätze durch kontinuierliche Erhöhung des Einsatzes von Drohnen und Spezialkräften sowie AI bzw. Robotisierung erfolgen, in Entsprechung zu Bidens Vorgängern ab 2003. Dasselbe gilt für die Abkehr von Regimewechsel unter hoher Truppenpräsenz zur Postkonfliktstabilisierung. Zudem will er die Präzision im Militärwesen auch im Nuklearbereich erhöhen, die US-Raumfahrtstreitkräfte ausbauen und die Hinwendung zu Asien stärken. Weiter soll einer digitalen chinesischen Zentralbankwährung, die gekoppelt mit der Erosion des „Petrodollarsystems“ den Weltreservestatus des US-Dollars bedroht, entgegengewirkt werden. Hierzu könnte der noch zu verabschiedende Banking for all Act vom März 2020 beitragen, der Amerikanern digitale Zentralbankkonten ermöglicht. Dem chinesischen Vorstoß hemmen soll auch die globale digitale Privatwährung wie der Libra. Des Weiteren steht eine mögliche künftige amerikanische Produktionsführung alternativer Energieträger chinesischem Einflussausbau entgegen. Im Kontext des seit George W. Bushs eingeleiteten Handelsprotektionismus und den höheren US-Gesundheitskosten durch Covid-19, der Überalterung der geburtenstarken US-Jahrgänge, Schwerpunktverlagerung nach Asien bzw. Afrika und russisch-chinesischer Kooperation wird sich Folgendes erhöhen: Nämlich der seit Jahrzehnten bestehende Druck auf die Verbündeten in Bezug auf Lastenteilung, auf eine vermehrte Unterstützung globaler, proaktiver US-Sicherheitsprojektion. Machtkonkurrenz legt eine Erweiterung von US-Einflusssphären durch „instrumentellen Multilateralismus“ nahe, der eher an „dog-eat-dog“, an klassische Machtpolitik, erinnert. Dieser fördert Ressourcenbedarfs-, Treibhausgasanstieg, geoengineering und den Abbau der liberalen Weltordnung.

Eine radikale Kehrtwende in Militärausgaben oder Sicherheitsstrategien, insbesondere in Bezug auf China, werden von Pentagon-Mitarbeitern trotz explodierendem Bundeshaushaltsdefizit oder ökonomischen Konsequenzen der Covid-19-Pandemie nicht erwartet: Stattdessen wird von einer Erweiterung und Fokussierung auf Sicherheitsbedrohungen wie Klimawandel und Biowaffen ausgegangen. Auch die umfassende finanzielle Unterstützung der Rüstungskonzerne bzw. der Wall Street des Biden/Harris-Wahlkampfes, die sich in einem Drittel der für das DoD ausgewählten Kandidaten widerspiegelt, legt diese Einschätzung nahe. Biden betont fast wortgleich mit seinen Vorgängern Clinton und Obama den Einsatz des militärischen Instruments ausschließlich zur Verteidigung vitaler amerikanischer Interessen. Damit kann angesichts möglicher Entwicklungen des komplexen Sicherheitsbedrohungsvolumens spekuliert werden, ob Biden das militärische Instrument analog einsetzt oder eben nicht. Begünstigt wäre eine alternative Instrumentenwahl durch Aufgreifen von Kerrys US-chinesischer Zusammenarbeit gegen Klimawandel während der Obama-Ära: Dies wäre bei angekündigter Unterstützung durch US-Militärs und nichtstaatliche Akteure noch wahrscheinlicher. Weiter könnten die US-chinesischen ökonomischen Verzahnungen wie auch europäische Wirtschafts- und Energieinteressen in Bezug auf Russland eine solche Wahl befördern. Darüber hinaus könnte Bidens Entwurf einer Stärkung der Kongresskontrolle bei präsidialem Einsatz von Streitkräften, „I will work closely with Congress on decisions to use force, not dismiss congressional legislation“ und der Wiederbelebung internationaler Verträge beitragen.

Insgesamt wird transparent, dass die Präsidentschaft Bidens durch Überwachungstechnokratie bestimmt werden könnte. Weiter prägend könnten mangelnde Klimawandeleindämmung durch Ressourcen- und Treibhausgasanstieg als Folge ausgebauter Digitalisierung samt anschließendem geoengineering sein. Die Reaktion von Amerikanern auf die Folgen forcierter Digitalisierung wie Transhumanismus und climate-engineering könnte die Polarisierung verstärken. Mit verstärkter Überwachung durch Digitalisierungsausbau könnten Folgen sozio-ökonomischer Ungleichheit bzw. Polarisierung wie soziale Aufruhr unterbunden werden. Darüber hinaus sind die Intensivierung klassischer Machtpolitik unter Optimierung von Massenvernichtungswaffen sowie Bedrohungsanstieg anzuführen. Möglich wäre aber auch die Eindämmung sozioökonomischer Ungleichheit: Dazu könnte das Zurückdrängen des Einflusses nichtstaatlicher Akteure, auch im Medien- bzw. Bildungs- und Technologiebereich zur Abmilderung der Polarisierung und Eindämmung globaler Überwachung beitragen. Dies ließe eine Chance zur Rückgewinnung der Kompromissfähigkeit zu. Schlussendlich könnte sodann die Reaktivierung multilateraler Grundordnung unter Abbau von Großmachtwettbewerb und Bedrohungsniveau erreicht werden. Dies könnte eine Akzeptanz globaler Lösungen zu global wirkenden Bedrohungen und die soft power einer Allianz der Demokratien befördern. Damit wäre einer demokratischen Machtkontrolle Vieler der Weg geebnet.

Deutlich wird hierbei, dass in der Ära Biden nichts weniger als die Wiedererlangung der Machtkontrolle und -teilhabe der Mehrheit auf allen Ebenen auf dem Spiel steht. Und damit vollzieht sich in den nächsten 4 Jahren vielleicht der wichtigste Kampf in der Reihe der seit Gründung der USA ausgefochtenen Kämpfe, durch die die amerikanische Realität mit den Idealen des Landes in Einklang gebracht werden soll.

Literatur:

Gates, Bill (2021), How to avoid a climate disaster. The solutions we have and the breakthroughs we need, New York.
Gates, Robert M. (2020), Exercise of Power. American Failures, Successes, and a New Path Foward in the Post-Cold War World, New York.
Gore, Al (2013), The Future, New York.
Hacker, Jacob S./Pierson, Paul (2010), Winner-take-all Politics. How Washington made the rich richer-and turned its back on the middle class, New York.
Lepore, Jill (2020), Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, München.
McCoy, Alfred W. (2017), In The Shadows Of The American Century. The Rise and Decline of US Global Power, Chicago.
Obama, Barack (2020), Ein verheißenes Land, München.
Zuboff, Shoshana (2019), The Age of Surveillance Capitalism. The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power, New York.

Autorin:

Nina Thomsen, Jahrgang 1966, hat ihr Studium der Politikwissenschaften und des Öffentlichen Rechts sowie der Studienbegleitenden Fremdsprachenausbildung Englisch an der Universität Trier abgeschlossen. Ihre Magisterarbeit im Bereich Internationale Beziehungen/Sicherheitspolitik verfasste sie bei Prof. Dr. Hanns W. Maull. Während ihrer Studienzeit arbeitete sie u.a. als Tutorin bei Prof. Dr. H. Mandt. Anschließend war sie an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, auch für ein durch das Ministerium des Innern und für Sport/Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt, tätig. Die Veröffentlichung ihrer 2017 eingereichten Dissertation im Bereich Internationale Beziehungen bei Prof. Dr. S. Schmidt und Prof. Dr. W. Muno unter dem Titel, „Gefährdete Weltmacht USA“ erfolgte 2019.