Atlantische Themen 3/2011: Mr. Reset in Moskau

Mr. Reset in Moskau

Was bedeutet Washingtons neuer Botschafter in Russland für die bilateralen Beziehungen?

David Sirakov

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Vorstellungsvideo Michael McFauls als neuer US-Botschafter in Russland auf YouTube

Ende Mai wurde bekannt, dass Barack Obama Michael McFaul für den Posten des neuen Botschafters in der Russischen Föderation nominieren wird. Damit setzt der amerikanische Präsident Zeichen nach innen wie nach außen. Vorbehaltlich der Zustimmung des Senats wechselt dadurch der wichtigste Berater des Weißen Hauses in Sachen Russlandpolitik nach Moskau und wird Nachfolger von John Beyrle.  Wer ist Michael McFaul? Welche Hürden bestehen noch für seine Ernennung? Und was wird vom neuen US-Botschafter in Moskau zu erwarten sein?

Akademiker statt Karrierediplomat

Mit dieser Personalentscheidung überrascht Präsident Obama vor allem in einer Hinsicht: Der Botschaftsposten in Moskau wird nicht wie gewohnt mit einem erfahrenen und verdienten Diplomaten besetzt. Von den insgesamt sechs Botschaftern seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstammen fünf aus den Reihen der Karrierediplomaten.1 Michael McFaul hingegen kommt aus dem akademischen Bereich und ist Professor für Politikwissenschaft an der renommierten Stanford University. Er studierte ebendort Internationale Beziehungen, slawische Sprachen, russische sowie osteuropäische Studien und wurde im Bereich Internationale Beziehungen an der Oxford University promoviert.2 Im Laufe seiner akademischen Karriere war er häufig in Russland zu Gast und zählt eine Vielzahl von russischen Experten, Politiker und Wirtschaftsvertreter zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Bereits während des Vorwahlkampfes 2007 stieß er zum Obama-Team und wechselte nach dem Wahlsieg in die Position des Special Assistant to the President and Senior Director, Russia and Eurasia Affairs, im Nationalen Sicherheitsrat. Damit avancierte der Russlandspezialist zum wichtigsten Berater des amerikanischen Präsidenten in diesem Bereich und spielte eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Ausformulierung der Reset-Politik der Obama-Administration gegenüber der Russischen Föderation. Zudem war er an den Verhandlungen zum Neuen-Start-Vertrag sowie den Gesprächen zur Entwicklung eines gemeinsamen Raketenabwehrschildes beteiligt und leitete mit seinem russischen Kollegen, Vladislav Surkov, die Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft im Rahmen der US-Russia Bilateral Presidential Commission.

Pragmatiker statt Neokonservativer

Gerade Letzteres spiegelt auch McFauls Forschungs- und Publikationstätigkeit wider. Hierin beschäftigte er sich wiederholt mit der Entwicklung der russischen Demokratie im Allgemeinen und dem dortigen Parteien-, Wahl- und Regierungssystem im Besonderen (Colton/McFaul 2000, Hale et al. 2004, McFaul 2001, 2004, McFaul/Treyger 2005). Der zukünftige amerikanische Botschafter äußerte sich darin immer wieder kritisch über das System, welches vornehmlich durch den ehemaligen russischen Präsidenten und heutigen Ministerpräsidenten, Vladimir Putin, implementiert wurde (siehe u.a. McFaul/Stoner-Weiss 2008). Diese Positionierung und seine Tätigkeit als Senior Fellow an der konservativen Hoover Institution in Washington veranlassten Kommentatoren, ihn mitunter in die Nähe der Neokonservativen, einer politischen Gruppierung, die ihren Einfluss insbesondere in der Außenpolitik der Bush-Administration  geltend machen konnte (Dorrien 2004: 7-23, Sirakov 2010: 206f., 233f.), zu rücken (Dreyfuss 2008).

Eine solche ideologische Verortung McFauls hält einer genauen Betrachtung seiner Schriften allerdings nicht stand. Zwar propagiert McFaul – wie die Neokonservativen auch – die große Bedeutung von Demokratisierung als Stabilisierungsfaktor in der internationalen Politik, doch stellt er im gleichen Atemzug fest, dass die Demokratieförderung schon lange kein Alleinstellungsmerkmal und mithin auch nicht mehr die alleinige Aufgabe der Vereinigten Staaten ist. Dies liege nicht zuletzt an den Problemen in der amerikanischen Demokratie selbst und den mitunter daraus resultierenden Glaubwürdigkeitsproblemen einer US-Demokratieförderungspolitik (McFaul 2004/2005: 148, 152). Zudem ist die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten in der Vorstellung der Neokonservativen lediglich als sekundäres Ziel zu sehen. Und hier liegt der gravierendere Unterschied zu McFaul: Das primäre Ziel der Neokonservativen ist der Aufbau und Erhalt einer „benevolent global hegemony“ (Kristol/Kagan 1996: 20) oder – wie es ein Jahr später in den Prinzipien der Neokonservativen formuliert wurde – „American global leadership“ (PNAC 1997). Die Konsequenz für die amerikanische Russlandpolitik  wäre eine Isolation Moskaus oder zumindest eine Containment-Politik. In einer Anhörung vor dem Senat im Mai 2007 nahm McFaul indes die konträre Position ein und riet zu einer langfristig ausgelegten, engagierteren Politik:

"A new American policy towards Russia must pursue both—a more ambitious bilateral relationship and in parallel a more long-term strategy for strengthening Russian civil, political, and economic societies, which ultimately will be critical forces that push Russia back onto a democratizing path" (U.S. Congress 2007: 13).

Hier schien bereits die pragmatische und nicht ideologische Sicht Michael McFauls auf die amerikanisch-russischen Beziehungen durch, so wie sie in seiner Tätigkeit als Berater des Präsidenten seit Beginn der Obama-Administration immer wieder zu Tage trat.

Ausweis dafür ist zum einen die Reaktion auf die Georgienkrise. Während der Gegenkandidat Barack Obamas, John McCain, auf die militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und Georgien im August 2008 – und damit inmitten des Präsidentschaftswahlkampfes – mit den Worten „We are all Georgians“ (Falcone 2008) ein hartes Vorgehen gegen Russland durch die USA und die Weltgemeinschaft u.a. in Form eines Ausschlusses aus der G8 forderte (Herrmann 2008), reagierte Obama auf Anraten McFauls weitaus  differenzierter. Zunächst forderte er eine genaue Aufklärung der Kriegsursachen und kritisierte die russische Führung erst, als diese die militärische Auseinandersetzung unnötig in die Länge zogen (PBS Newshour 2008). Die spätere im Auftrag der EU erfolgte Untersuchung der Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia (IIFFMCG) gab diesem Vorgehen Recht, denn die Kampfhandlungen wurden entgegen der weitläufigen Meinung nicht von russischen, sondern von georgischen Truppen völkerrechtswidrig begonnen (IIFFMCG 2009: 262).

Ein weiteres Beispiel ist die Reset-Politik der Obama-Administration, die zunächst eine Annäherung und den Aufbau neuen Vertrauens beider Staaten nach der deutlichen Abkühlung der Beziehungen unter George W. Bush und Vladimir Putin und den Eindrücken des Irakkriegs anstrebt, um anschließend auch Themen wie den Zustand der Menschenrechte und der Demokratie in Russland ansprechen zu können.

Widerstand der Republikaner im Senat

Gemäß Art. II Absatz I der amerikanischen Verfassung bedürfen vom Präsidenten vorgeschlagene Botschafter der vorherigen Zustimmung durch den Senat. Damit müssen mindestens 51 der 100 Senatoren der Personalie McFaul zustimmen, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse (51 Demokraten, 47 Republikaner und 2 Unabhängige, die mit den Demokraten stimmen) zunächst unproblematisch scheint. Allerdings wird auch bei dieser Abstimmung der sogenannte Filibuster eine Rolle spielen. Dabei handelt es sich um einen Minderheitenschutz im Senat, nach dem es 41 Senatoren möglich ist, durch dauerhaftes Debattieren, die Entscheidungsfindung zu verhindern.

An diese Möglichkeit erinnerte der republikanische Senator John Kyl aus Arizona, als er die Zustimmung zu McFaul von Informationen über die amerikanisch-russischen Verhandlungen zu einem gemeinsamen Raketenabwehrschild abhängig machte (Rogin 2011). Es ist daher zu erwarten, dass die Anhörungen im Senat zu einer Abrechnung der Republikaner mit der Russlandpolitik der Obama-Administration gerät. Weitere umstrittene Fragen wie der Neue-START-Vertrag, die Demokratieentwicklung in Russland und die sicherheitspolitischen Einschätzungen mit Blick auf eine etwaige NATO-Mitgliedschaft von Georgien und der Ukraine werden voraussichtlich thematisiert. Dabei wird insbesondere die von Republikanern massiv kritisierte Reset-Politik und eine damit verbundene zu laxe Haltung Washingtons gegenüber Moskaus Machtambitionen und Einflusssphärenpolitik im postsowjetischen Raum (u.a. im Baltikum und Kaukasus) sowie eine fehlende Unterstützung demokratischer Kräfte in Russland im Zentrum der Vorwürfe stehen. Aus konservativer Sicht habe die Obama-Administration die amerikanischen Interessen aus den Augen verloren und Kooperationen seien nur in solchen Bereichen möglich, die den russischen Interessen entsprächen (Cohen 2010: 3).

Letztlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Senat dem Vorschlag des Präsidenten folgen wird. Michael McFaul ist ein überaus qualifizierter und über die Parteigrenzen hinweg respektierter Kandidat. Insbesondere sein Engagement im Bereich der Demokratieförderung und des zivilgesellschaftlichen Dialogs sollte der republikanischen Agenda entgegenkommen. Ob Barack Obama für die Zustimmung Zugeständnisse beim Thema Raketenabwehr machen muss, wird sich zeigen müssen.

Positive Reaktionen aus Russland

Die Nachricht von der Nominierung Michael McFauls stößt in Moskau auf unterschiedliches, aber mehrheitlich positives Echo. Die skeptischen bis negativen Einschätzungen verweisen vor allem auf die diplomatische Unerfahrenheit McFauls sowie seine kritische Auseinandersetzung mit Russland. Die Nominierung spiegele entlang dieser Auffassung das Unverständnis der Obama-Administration gegenüber der Situation in Russland wider und werde zusätzliche Spannung hervorrufen (Terechov 2011).

Dem gegenüber begrüßt der Direktor des Carnegie Endowment in Moskau, Dmitri Trenin, die Entscheidung und sieht in McFaul eine wichtige Weichenstellung für die Beziehungen zwischen beiden Staaten. Angesichts ausstehender Entscheidungen wie der Aufnahme Russland in die Welthandelsorganisation, der Aufhebung des Jackson-Vanik-Amendment, welches bis heute normale Handelsbeziehungen zwischen den USA und Russland verhindert, der Entwicklung eines gemeinsamen Raketenabwehrschildes sowie dauerhafter strategischer Fragen wie der Afghanistanpolitik könnte der neue Botschafter eine Schlüsselfigur nicht nur für die Anliegen Washingtons, sondern auch Moskaus sein. (Trenin 2011).3 Ähnlich äußert sich der Präsident des Moskauer Instituts für strategische Bewertungen, Aleksandr Konovalov. Er weist darauf hin, dass die Auswahl McFauls auch zeige, „welche höchste Aufmerksamkeit der russischen Politik in Washington zuteilwird“ (RIA Novosti 2011). Und auch Konstantin Kossatschev, Vorsitzende des Komitees für außenpolitische Angelegenheiten der Duma, betonte die positive Entwicklung der russisch-amerikanischen Beziehungen seit Beginn der Obama-Administration und damit indirekt auch die Rolle des Russlandberaters Michael McFaul (Terechov 2011).

Fortsetzung der Reset-Politik

Mit der Nominierung und voraussichtlichen Ernennung Michael McFauls zum neuen Botschafter in Russland findet die 2009 angestoßene Reset-Politik der Obama-Administration ihre Fortsetzung. Zwar verzichtet der amerikanische Präsident damit auf einen wichtigen Berater in Washington, gewinnt jedoch im gleichen Atemzug einen verlässlichen Gesandten in Moskau, der die amerikanische Position nicht nur diplomatisch vertritt, sondern konzeptionell und inhaltlich mitentwickelt hat und daher auch mit Substanz füllen wird. Dabei verbindet McFaul das theoretisch Denkbare mit dem praktisch Möglichen, was er in den vergangenen zweieinhalb Jahren unter Beweis gestellt hat: Die Betonung der sicherheitspolitischen Bedeutung der Beziehungen zu Moskau, ohne die Entwicklung der Demokratie und Zivilgesellschaft aus den Augen zu verlieren.

In Anbetracht der Vielzahl an offenen Fragen in den amerikanisch-russischen Beziehungen und den bevorstehenden Wahlen in Russland und den USA in diesem und vor allem im nächsten Jahr,4 benötigt die Obama-Administration einen kompetenten und mit der Russlandpolitik vertrauten Botschafter wie Michael McFaul, um den eingeschlagenen Weg fortzuführen.

 

Literatur

Cohen, Ariel (2010): Time to Revise Obama’s Russian “Reset” Policy (WebMemo, Heritage Foundation), Washinton (DC).

Colton, Timothy J./McFaul, Michael (2000): Reinventing Russia’s Party of Power: 'Unity' and the 1999 Duma Election, in: Post-Soviet Affairs, 16:3, S. 201-224.

Dorrien, Gary J. (2004): Imperial Designs. Neoconservatism and the new Pax Americana, New York (NY).

Dreyfuss, Robert (2008): The Rise and McFaul of Obama's Russia Policy (The Dreyfuss Report), www.thenation.com/blog/rise-and-mcfaul-obamas-russia-policy (aufgerufen am 1.7.2011).

Falcone, Michael (2008): McCain Displays Credentials as Obama Relaxes, in: The New York Times vom 15. August, S. 15A.

Feschtschenko, Viktor (2011): Peresagruska po nauke, in: Rossijskaja Gaseta vom 31. Mai, www.rg.ru/printable/2011/05/31/posol.html (aufgerufen am 12.6.2011).

Hale, Henry/McFaul, Michael/Colton, Timothy (2004): Putin and the "Delegative Democracy" Trap. Evidence from Russia's 2003-04 Elections, in: Post-Soviet Affairs, 20:4, S. 285-319.

Herrmann, Frank (2008): Der Krieg hält Einzug im Wahlkampf, in: Der Standard vom 12. August, S. 4.

IIFFMCG (2009): Report (Volume II), Brüssel.

Kristol, William/Kagan, Robert (1996): Toward a Neo-Reaganite Foreign Policy, in: Foreign Affairs, 75:4, S. 18-32.

McFaul, Michael (2001): Explaining Party Formation and Nonformation in Russia: Actors, Institutions, and Chance, in: Comparative Political Studies, 34:10, S. 1159-1187.

McFaul, Michael (2004): Russia’s Transition to Democracy and U.S.-Russia Relations. Unfinished Business (Januar), www.americanprogress.org/kf/russia_mcfaul.pdf (aufgerufen am 4.1.2009).

McFaul, Michael (2004/2005): Democracy Promotion as a World Value, in: The Washington quarterly, 28:1, S. 147-163.

McFaul, Michael/Stoner-Weiss, Kathryn (2008): The Myth of the Authoritarian Model, in: Foreign Affairs, 87:1, S. 68-84.

McFaul, Michael/Treyger, Elina (2005): Civil Society, in: McFaul, Michael/Petrov, Nikolai Vladimirovich/Ryabov, Andrei Vilenovich (Hrsg.): Between Dictatorship and Democracy. Russian Post-Communist Political Reform, Washington (DC), S. 135-173.

PBS Newshour (2008): Marcus and Lowry Weigh Reactions to Georgia Crisis, www.pbs.org/newshour/bb/politics/july-dec08/mlgeorgia_08-15.html (aufgerufen am 12.3.2010).

PNAC (1997): Statement of Principles (3. Juni), www.newamericancentury.org/statementofprinciples.htm (aufgerufen am 12.3.2008).

RIA Novosti (2011): Eksperty: Makfol na posty posla ustranil by nedoverie meshdu RF i CSchtschA (29. Mai), ria.ru/politics/20110529/381537502.html.

Rogin, Josh (2011): State Department facing several nomination fights, in: Foreign Policy (The Cable) vom 14. Juni, thecable.foreignpolicy.com/posts/2011/06/14/state_department_facing_several_nomination_fights (aufgerufen am 22.6.2011).

Sirakov, David (2010): Die russisch-amerikanischen Beziehungen von 2001 bis 2008. Innergesellschaftliche Präferenzbildung und exekutive Handlungsautonomie, Baden-Baden.

Terechov, Andrej (2011): Tschesvytschajnyj predvybornyj possol, in: Nesavissimaja Gaseta vom 31. Mai, www.ng.ru/printed/255271 (aufgerufen am 15.6.2011).

Trenin, Dmitri (2011): Ambassador 'Mike' McFaul Could Help Reset, in: The Moscow Times vom 2. Juni.

U.S. Congress (2007): 110/1, House of Representatives, Committee on Foreign Affairs, Russia: Rebuilding the Iron Curtain (Hearing, May 17, 2007), Washington (D.C.), www.foreignaffairs.house.gov/110/35430.pdf (aufgerufen am 21.07.2008).

 


[1] Einzig Robert S. Strauss, der von 1991 bis 1992 Botschafter in Moskau war, hatte keinen diplomatischen, sondern einen politischen Hintergrund. Vgl. dazu die Website des US Außenministeriums zu den ehemaligen Botschaftern in Moskau unter moscow.usembassy.gov/ministers-and-ambassadors.html (aufgerufen am 29.6.2011).

[2] Siehe für einen umfangreicheren Lebenslauf politicalscience.stanford.edu/cvs/MCFAUL-RESUME-1-2011.pdf

[3] Die Raketenabwehr und Afghanistanpolitik werden von mehreren russischen Experten als zentrale Bereiche für McFaul angesehen. Siehe Feschtschenko (2011).

[4] Die russischen Parlamentswahlen finden am 4. Dezember 2001 statt. Die Präsidentschaftswahlen in Russland und den USA folgen am 11. März sowie 6. November 2012.