Big Tuesday. Auftakt für den Hauptwahlkampf?

von Sarah Wagner, M.A.

"Hello, hey Joe! You wanna give it a go?" fragt Mya im musikalischen Pop-Klassiker "Lady Marmalade" – so oder so ähnlich kann man auch die Ergebnisse der aktuellen Vorwahlen in Michigan, Mississippi, Missouri, Washington State, Idaho und North Dakota interpretieren. Die Demokratische Wählerbasis hat sich nach dem Super Tuesday erneut für Joe Biden ausgesprochen, vor allem die sehr guten Ergebnisse in den Staaten Michigan, Missouri und Mississippi waren für dessen Kampagne entscheidend. Denn zur Erinnerung: Es kommt nicht in erster Linie darauf an, wer die meisten Staaten gewinnt, sondern wer in diesen Staaten mit Abstand und dadurch die meisten Delegierten gewinnt und die bessere Wählerkoalition mobilisieren kann. Wie ist also der aktuelle Stand im Rennen Bernie Sanders vs. Joe Biden? Biden gewann Michigan, Missouri, Mississippi und Idaho. In Washington State wird aktuell (11.3.2020, 10.00 Uhr) noch gezählt und es ist ein enges Rennen, in North Dakota führt Bernie Sanders. Zu diesem Zeitpunkt werden Joe Biden 153 Delegierte zugesprochen (insgesamt kommt er somit auf 823) und Bernie Sanders erhält 89 (insgesamt kommt er auf 663), 110 Delegierte stehen noch aus. Die Stärken und Schwächen der Kandidaten lassen sich besonders gut an bestimmten Staaten aufzeigen:

Michigan

Sanders war in der Wahlnacht unter Druck und musste zeigen, dass die von ihm versprochene Wählerkoalition von jungen, neuen und dezidiert linken Wähler*innen ihn deutlich an der Wahlurne unterstützen würde. Dies war am Super Tuesday nicht im erhofften Maße geschehen und hat sich auch am Big Tuesday nicht eingestellt. Vor allem Michigan war für das Narrativ seiner Kampagne wichtig, hatte Sanders doch hier 2016 den knappen Überraschungssieg gegen Hillary Clinton eingefahren und seine Stärke bei den Wähler*innen der weißen Arbeiterklasse gezeigt. Vier Jahre später konnte Joe Biden ihn deutlich mit 53% zu 37% abhängen; Frauen, African-Americans, Wähler*innen über 45 Jahre und auch die (weißen) Wähler*innen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen entschieden sich für Biden. Auch war zu beobachten, dass die schon in den Zwischenwahlen 2018 erfolgreiche moderate Wählergruppe (hier zu beachten vor allem Frauen aus den Vororten, den Suburbs) zahlreich wählte und es zu einer beachtenswerten Wahlbeteiligung kam. NBC News berichtet: "In Livingston County in the Detroit area, one of the wealthiest counties in Michigan, turnout surged from over 17,000 in 2016 to more than 27,000 in 2020. Biden won it by 17 points." Die Unterstützung von Gretchen Whitmer, Gouverneurin in Michigan, für Joe Biden war zudem ein erneut klares Signal für die weitere Konsolidierung des moderaten Flügels hinter dem ehemaligen Vizepräsidenten.

Lediglich die junge Wählergruppe und Latinos entschieden sich deutlich für Sanders. Als kurze Anmerkung: Michigan erlaubt neuerdings eine großzügige Briefwahl, d.h. hier kann es in den Ergebnissen der Exit Polls noch zu Verschiebungen kommen. Dennoch, die Richtung ist klar: Der industrielle Staat im mittleren Westen hat sich auf die Seite von Biden geschlagen und ein Signal an die Partei geschickt: Biden soll Trump ablösen, ihm werden die größten Chancen im Hauptwahlkampf eingeräumt. Angesichts der schwachen Ergebnisse von Bernie Sanders ist auch ein neuer Rückblick auf 2016 interessant – wie viele seiner Stimmen waren damals pro-Sanders Stimmen oder doch eher anti-Clinton/Establishment Stimmen?

Mississippi

In South Carolina konnte Biden schon eindrucksvoll seinen Rückhalt in der African-American Community demonstrieren. Mississippi zeigte dann aber endgültig, wie sehr Bernie Sanders trotz intensiver Bemühungen seit 2016 mit dieser für die Demokraten wichtigen Wählergruppe kämpft. 87% der schwarzen Wähler*innen entschieden sich für Biden. Ebenso entschieden sich 9 von 10 moderaten Wähler*innen sowie Wähler*innen ohne Collegeabschluss und Wähler*innen die älter als 45 Jahre alt sind für Biden. Nicht überraschend gingen bisher somit 29 Delegierte in Mississippi an Biden, lediglich zwei an Sanders.

Missouri 

Auch Missouri ging 2016 noch äußerst knapp an Bernie Sanders. Mit 60,1% der Stimmen ließ Biden am Dienstag jedoch keinen Zweifel am Ausgang des Rennens offen. Hier konnte Biden ebenso in allen wichtigen Wählergruppen entscheidend punkten. Lediglich Wähler*innen in der Kategorie 18-44 Jahre entschieden sich deutlich für Sanders. Signalwirkung für die Partei dürften vor allem die Ergebnisse für Biden in Bezug auf weiße Wähler*innen, Männer und Wähler*innen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen haben. Viele Vertreter dieser Gruppen hatten sich 2016 von den Demokraten abgewandt, Biden konnte sie in der Vorwahl für sich gewinnen und übertraf deutlich die Ergebnisse von Hillary Clinton in diesen Gruppen.  

It's all over now, Bernie Sanders?

Auch wenn einige Kommentatoren und Überschriften schon das Ende der Sanders-Kampagne einläuten, wird sich der kämpferische Senator aus Vermont vermutlich nicht so schnell geschlagen geben. Auch 2016 blieb Sanders bis zum Parteitag im Rennen um maximalen Druck auf die Partei auszuüben und die Kandidatin Hillary Clinton inhaltlich weiter nach links zu schieben. Solange ein Sieg von Sanders mathematisch durch die Verteilung der Delegierten (Joe Biden bräuchte 1.991 Delegierte, um im ersten Wahlgang gewählt zu werden) noch möglich ist oder solange er für sich einen Pfad zur Nominierung sieht, wird er wohl im Rennen bleiben. Dennoch ist er angeschlagen. Sein Weg zur Nominierung basierte zu einem großen Teil auf dem Versprechen, eine Wählerkoalition aus jungen, neuen und linken Wähler*innen zu mobilisieren – das hat sich bislang nicht eingestellt. Auch schafft es Sanders bisher nicht, die zwei wichtigen Wählergruppen der Demokraten (Frauen und African-Americans) für sich zu gewinnen. Die Vorwahlen verdeutlichten auch noch einmal, wie stark die Parteiidentität und -loyalität bei vielen Wähler*innen ist. Als lebenslanger "Independent" hat Sanders es hier deutlich schwerer als Joe Biden.

Auch gibt es Vermutungen, dass der Wechsel einiger Staaten von einem Caucus- zu einem Primary-Format Sanders Unterstützung gekosten haben könnte.

Where do we go from here?

Am 17. März wählen weitere wichtige Staaten wie Florida, Ohio, Arizona und Illinois. 2016 gingen diese Staaten an Hillary Clinton und auch 2020 erhofft sich Joe Biden (vor allem in Florida mit seinen 219 Delegierten) hier weitere Siege einzufahren. Für Sanders wird es holprig, da ihm wohlgesonnenere Staaten wie Nebraska, Kansas oder West Virginia (die er alle 2016 gewann) erst im Mai wählen werden. Bis dahin dürfte sich das Rennen, die Delegiertenzahl und das Narrativ für Joe Biden verfestigt haben. Allerdings steht an diesem Sonntag erst einmal die Debatte zwischen Joe Biden und Bernie Sanders in Phoenix, Arizona an – aufgrund von Vorsichtsmaßnahmen wegen COVID-19 ohne Publikum. Hier muss Joe Biden sich noch einmal beweisen und zeigen, dass er mental fit genug ist für das Duell gegen Sanders und letztendlich gegen Trump.

Die Ausbreitung von COVID-19 wird den Wahlkampf ebenso begleiten, und das nicht nur thematisch. Die ersten großen Wahlkampfveranstaltungen wurden von Sanders und Biden bereits abgesagt, weitere werden vermutlich folgen. Gleichzeitig sehen die Demokraten die Möglichkeit, sich in diesem Themengebiet zu profilieren, da der Partei auch insgesamt von den Wähler*innen mehr Kompetenz in Gesundheitsfragen zugesprochen wird. Die Absage von Großveranstaltungen ist jedoch vor allem für Sanders ungünstig, da er durch solche Großveranstaltungen seine junge Basis anfeuert und für die Wahl mobilisiert.

Und diese junge Basis wird es auch sein, die Joe Biden für sich gewinnen muss – auch wenn dies eine enorme Herausforderung sein wird. Während Sanders am Ende der Wahlnacht sich nicht mehr vor den Kameras zeigte und auch keine Ansprache hielt, formulierte Biden schon einen Appell an den parteiinternen Zusammenhalt und an die Unterstützer von Sanders: "I want to thank Bernie Sanders and his supporters for their tireless energy and their passion. We share a common goal and together we will defeat Donald Trump. We will defeat him together. We are going to bring this nation together." Dies wird sich zeigen müssen. Donald Trump befindet sich schon seit seinem Amtsantritt im Wahlkampf. Die Demokraten stecken noch mitten in ihrem eigenen.