Das US-Militär inmitten der Pandemie

von John Constance, M.A.

Die Corona-Krise ist derzeit omnipräsent. Gesellschaften, Behörden und Staaten rund um den Globus sehen sich gleichermaßen mit einer Gefahr von historischem Ausmaß konfrontiert. Die Gegenmaßnahmen zur Eindämmung fallen in den einzelnen Ländern mitunter sehr unterschiedlich aus und hängen unter anderem von der politischen Verfasstheit des Staates ab. So auch in den USA, die von einer mächtigen Bürokratie inklusive großer Handlungsspielräume der einzelnen Ministerien geprägt sind. Nach einem schleppend anlaufenden und inkonsistenten Krisenmanagement der Trump-Administration vermelden die USA mittlerweile über 500.000 Corona-Infektionen und ca. 20.000 -Tote (Stand 11.04.2020). Während Präsident Trump bis in den März hinein die Gefahr durch das neuartige Coronavirus herunterspielte, erkannte das Verteidigungsministerium frühzeitig die heraufziehende Gefahr und leitete bereits im Januar Präventionsmaßnahmen zur Risikominderung für die eigenen Streitkräfte ein. Für eine Institution, die zu jeder Zeit die nationale Sicherheit einer Weltmacht sicherstellen soll und dafür den Globus in sechs Regionalkommandos unterteilt, Präsenzen in mehr als 150 Ländern unterhält und über 200.000 Soldaten in auswärtigen Gebieten stationiert (zuzüglich Familienmitgliedern), stellt die Bewältigung einer Pandemie eine erwartungsgemäß enorme Herausforderung dar.

Krisenbewältigungsstrategie zwischen Infektionsschutz, nationaler Sicherheit und Hilfeleistung

Mitte März skizzierte Verteidigungsminister Mark Esper das grundlegende Aufgabenspektrum der Streitkräfte zur Bekämpfung des Coronavirus und legte einen Balanceakt in drei Richtungen offen. Die höchste Priorität räumte er dem Schutz der Militärangehörigen und ihrer Familien vor einer Infektion ein. Gleichzeitig müssten die Streitkräfte jedoch nach wie vor die nationale Sicherheit gewährleisten und geostrategischen Rivalen zu Abschreckungszwecken eine unvermindert hohe Gefechtsbereitschaft demonstrieren. Zu guter Letzt spielt das Militär in den USA eine tragende Rolle bei der Entlastung des Gesundheitssystems durch die Errichtung von Feldlazaretten, der Entsendung von Lazarettschiffen, Ärzten, Krankenschwestern aber auch durch logistische Unterstützung. In der jüngsten Direktive einer Gesichtsmaskenpflicht auf amerikanischen Militärstützpunkten ging Esper erneut auf den Spagat ein und bekräftigte die eingeschlagene Vorgehensweise: „DoD supports, and will continue to implement, all measures necessary to mitigate risks to the spread of the disease, consistent with the Department's priorities to protect our people, safeguard our national security capabilities, and support the government's whole-of-nation response.“

Sinnbildlich für den häufig auftretenden Zielkonflikt steht der medial viel beachtete Virusausbruch auf dem Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt im Pazifik. Nachdem sich von rund 4.800 Seeleuten über 100 mit dem Virus infizierten, wurde eine Eindämmung der Infektionsübertragung unter den beengten Gegebenheiten an Bord des Flugzeugträgers unmöglich. Daraufhin schlug Kapitän Brett Crozier außerhalb der vorgesehenen Befehlskette bei der Marineführung Alarm und drängte auf den Abbruch der geplanten Missionsroute zur Ermöglichung von effektiven Quarantänemaßnahmen: „We are not at war. Sailors do not need to die. If we do not act now, we are failing to properly take care of our most trusted asset — our Sailors.“ Dass sich seine anschließende Ablösung durch die US-Marine auf der Begründung stützte, er habe durch seine Vorgehensweise Amerikas Feinden Einblick in vertrauliche Informationen zur Gefechtsbereitschaft des Flugzeugträgers ermöglicht, gibt den schmalen Grat zwischen Schutzmaßnahmen und militärischer Mission eindrucksvoll wieder.

Das Coronavirus breitet sich aus – US-Streitkräfte werden zeitversetzt betroffen

Als sich Mitte Januar das Virus von China ausgehend in Asien ausbreitete, begannen die ersten US-Einheiten im Zuständigkeitsbereich des Regionalkommandos U.S. Indo-Pacific Command mit der Koordinierung mit lokalen Behörden. Auf Ministeriumsebene gab das Pentagon am 31. Januar Leitlinien für alle Beschäftigten heraus, um der potenziellen Bedrohung durch das neuartige Coronavirus proaktiv und angemessen zu begegnen. Zeitnah erreichte das Coronavirus Südkorea und geriet für die dortigen Militärstandorte der U.S. Forces Korea (USFK) ab dem 18. Februar zur akuten Gefahr. Aufgrund der unmittelbaren Nähe der U.S. Army Garrison Daegu zur gleichnamigen Stadt, dem Epizentrum des Ausbruchs in Südkorea, wurden rasch einschneidende Gegenmaßnahmen zur Verhinderung einer Ausbreitung wie Reisebeschränkungen, Schulschließungen und die Aussetzung von Truppenrotationen eingeführt.

In diesem Zeitraum schwappte die Corona-Welle nach Italien über und machte es zum meistbetroffenen Land außerhalb Asiens, respektive zum Covid-19-Hotspot Europas. Wenig überraschend fanden sich die US-Streitkräfte in Europa (EUCOM) erstmals an den Standorten der U.S. Army Garrison Italy in einer konkreten Gefährdungslage wieder und leiteten vergleichbare Maßnahmen wie die USFK in Südkorea ein. Mit dem vorzeitigen Abbruch des Großmanövers „DEFENDER Europe 20“, das als größte Truppenverlegung amerikanischer Streitkräfte nach Europa seit 25 Jahren geplant war, zollte EUCOM den heiklen Umständen in Europa Tribut. Gleichwohl erlaubten die gute Infrastruktur und vorhandene Logistikkompetenz dem US-Militär, das verfügbare militärische Material für humanitäre Zwecke zur Hilfe von besonders betroffenen Bündnispartnern in Europa einzusetzen. Unter anderem lieferte die U.S. Air Force Europe (USAFE) dringend benötigte medizinische Ausrüstung in die Krisengebiete Italiens, während die U.S. Army Europe (USAREUR) dort Krankenhausbetten, Matratzen, Krankentragen und weitere Materialien bereitstellte.

Covid-19 erreicht die US-Standorte in Rheinland-Pfalz

Für das US-Militär nimmt Rheinland-Pfalz aufgrund der vielen wichtigen Militärstützpunkte die Funktion als zentrale Koordinierungsstelle ein und spielt eine maßgebliche Rolle bei der Bekämpfung des Coronavirus in Europa. Das Hauptquartier der USAFE befindet sich in Ramstein und das Hauptquartier des 21st Theater Sustainment Command (der zentralen Logistikeinheit von USAREUR) in Kaiserslautern. Das Militärkrankenhaus in Landstuhl (Landstuhl Regional Medical Center) ist die derzeit einzige Anlaufstelle des US-Militärs in Europa für Corona-Tests, obgleich selbst die Möglichkeiten des größten US-Hospitals limitiert sind und Patient*innen mit schweren Krankheitsverläufen in umliegende deutsche Krankenhäuser verlegt werden müssten.

Gleichzeitig erweist sich der Schutz der ca. 60.000 Militärangehörigen als Herkulesaufgabe. Dass die U.S. Army Garrison Rheinland-Pfalz umgehend über den ersten Corona-Fall in Kaiserslautern am 27. Februar berichtete, ist Ausdruck der vorherrschenden Alarmbereitschaft der Truppen vor Ort. In diesem Zuge wurden die Militärangehörigen für die absehbare Verbreitung in der Region und innerhalb der Militärgemeinde sensibilisiert. Zeitlich versetzt brach Sars-CoV-2 denn auch an den einzelnen Standorten in Rheinland-Pfalz aus und die ersten Corona-Infizierten wurden am 26. März an der Ramstein Air Base und am 27. März an der Spangdahlem Air Base gemeldet. Das traurige Novum des ersten Covid-19-Todesfalls in der USAREUR-Belegschaft stellte ein deutscher Beschäftigter dar, der am 28. März in Kaiserslautern verstarb. Die sicherheitspolitische Dimension einer detaillierten Auflistung von Erkrankten je Stützpunkt wurde indes schnell offenkundig. Als Folge befahl das Verteidigungsministerium Ende März die bislang praktizierte Veröffentlichung standortbezogener Fallmeldungen in Europa einzustellen, um Gegnern keine Rückschlüsse auf die Einsatzfähigkeit von einzelnen Truppenteilen zu ermöglichen. Die Fallzahlen fließen seitdem als Ganzes in die ministeriumsumfassende Statistik ein. Eine möglichst große Transparenz in Einklang mit den Geheimhaltungs- und Sicherheitsrichtlinien der militärischen Mission zu bringen, kommt offensichtlich der Quadratur des Kreises gleich.

#FlattenTheCurve in Rheinland-Pfalz

Als Reaktion auf die rasch ansteigenden Infektionszahlen in Deutschland adaptierten die einzelnen Standorte die am 13. März eingeführten Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens durch die Landesregierung und schlossen Schulen, Kindergärten, Spielplätze und viele weitere Einrichtungen, die nicht als „mission essential“ galten. Verbindungsbüros, die innerhalb der Einheiten als Bindeglieder zum deutschen Umfeld fungieren, bereiten behördliche Informationen für die Militärführung auf und unterstützen diese bei der engen Koordinierung der Maßnahmen mit den zuständigen Behörden auf lokaler, regionaler und Landesebene. Die Führungsebene um die jeweiligen Kommandeure der Stützpunkte ist ihrerseits offenkundig bemüht, eine möglichst transparente Informationspolitik nach innen und nach außen umzusetzen. Mehrmals in der Woche werden sogenannte Town Hall Meetings auf den Facebookseiten der entsprechenden Standorteinheiten live gestreamt, in denen offene Fragen der Militärgemeinde geklärt werden können.

Wie die bundesweiten Maßnahmen zur weitestgehenden Stilllegung des öffentlichen Lebens aufzeigen, ist für die wirksame Verlangsamung der Infektionsübertragung eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung nötig. Um dieses Vorhaben in den rheinland-pfälzischen Standortregionen erfolgreich umsetzen zu können, ist wegen des hohen US-Bevölkerungsanteils die Aufklärung von US-Familien hinsichtlich der geltenden Beschränkungen in Deutschland und Rheinland-Pfalz von höchster Wichtigkeit. Mittels der social media Kanäle unseres „Willkommen in Rheinland-Pfalz!“-Programms halten wir die amerikanischen Mitbürger*innen über die Vorgaben der Landes- und der Bundesregierung auf dem Laufenden und initiieren Hilfsaktionen bzw. unterstützen bereits bestehende Projekte in Gemeinden. In diesen schwierigen Zeiten zeigt sich der starke Zusammenhalt in der deutsch-amerikanischen Gemeinschaft jedoch umso deutlicher. Es gibt zahllose Beispiele gelebter Solidarität, bei denen Amerikaner*innen den lokalen Ehrenamtlichen oder der eigenen Gemeinde als Dank für ihre Bemühungen Sachspenden überreichen. In Rheinland-Pfalz wird also eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Krisen auch das Beste in uns zum Vorschein bringen.