Atlantische Themen 2/2020: Der Iowa Caucus – Komplexer Auftakt der US-Vorwahlen

von Sarah Wagner

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"Iowa pig population reaches record 23.6 million," und übertrifft damit locker die Einwohnerzahl von den knapp 3,15 Millionen Menschen in Iowa. Außerhalb von Präsidentschaftswahljahren sind es eher solche Schlagzeilen, die auf den Bundesstaat Iowa aufmerksam machen. Doch alle vier Jahre sind alle Augen der Amerikaner*innen, zumindest die der politisch interessierten, und die mediale Aufmerksamkeit in den USA auf Iowa gerichtet. Denn hier findet die erste Abstimmung in dem langwierigen und komplexen Vorwahlsystem der Parteien statt, in dem Kandidaten um die Gunst der Wähler*innen werben, um von ihrer Partei für den Hauptwahlkampf nominiert zu werden. Besonders die Demokraten haben durch das Caucus-Format ein interessantes und für Außenstehende oft schwer durchdringbares Format der Abstimmung geschaffen, das seit 1972 eine wichtige Rolle im Nominierungsprozess der Partei spielt und spätestens mit dem überraschenden Sieg von Jimmy Carter 1976 einen legendären Status erhielt. Dabei belegte Jimmy Carter nur den zweiten Platz, die meisten Stimmen gingen an Uncommitted, d.h. die Gruppe an Wähler*innen, die sich einfach nicht entscheiden konnte.

Doch was genau ist eigentlich ein Caucus? Der Name geht zurück auf einen Begriff der nordamerikanischen Ureinwohner Algonquin, "cau´-cau-as´u", was so viel bedeutet wie "one who advises, urges, encourages" und "to talk to ... give counsel, advise, encourage, and to urge, promote, incite to action." Das Demokratische und Republikanische Caucus-Formatunterscheidet sich in vielerlei Hinsicht voneinander, im Folgenden soll der Ablauf des Verfahrens bei den Demokraten erläutert werden. Denn dieser ist nicht nur komplexer, sondern auch interessanter mit Hinblick auf die heiß umkämpften Vorwahlen bei den Demokraten und der hohen Anzahl an Kandidat*innen.

Wie sieht nun also der Auftakt dieses Prozesses in Iowa genau aus?

Der Prozess

"It’s more than a moment at a ballot box; it is a social activity."

So beschreibt das Iowa Caucus Project den Prozess, allerdings handelt es sich um eine recht komplexe soziale Aktivität. Die Partei finanziert und steuert die Abstimmung, nicht der jeweilige Staat wie es in einem Primary-Format üblich ist. Und nicht nur die Partei ist aktiv, auch eine ganze Armee an Freiwilligen beteiligt sich an der Organisation und Durchführung eines Caucus – bei 1.678 Precincts (Bezirke, in denen eine Abstimmung stattfindet) wäre es auch anders kaum zu bewältigen. Wähler*innen, die am Tag der Präsidentschaftswahl am 3. November mindestens 18 Jahre alt und als Demokratische Wähler*innen in Iowa registriert sind, dürfen teilnehmen. Registrieren lassen können sich Interessierte noch am gleichen Abend des Caucus; da es ein Closed Caucus ist, ist die Teilnahme nur für registrierte Demokraten möglich. Eine Teilnahme an dieser speziellen Vorwahl ist auch nur durch Anwesenheit an einer Caucus-Location oder durch Teilnahme an einem sogenannten Satellite-Caucus möglich (davon gibt es in diesem Jahr 92), Briefwahl oder Online-Abstimmung gibt es nicht. Wer dabei sein möchte, muss am 3. Februar um 19 Uhr an der entsprechenden Caucus-Örtlichkeit in seinem Precinct präsent sein. 

Der Caucus darf erst mit einem Call to Order beginnen, wenn alle Teilnehmer*innen, die sich bis 19.00 Uhr in der Schlange für die Veranstaltung eingefunden haben, erfasst und im Raum eingetroffen sind. Zu Beginn des Caucus organisiert ein Temporary Chair die Wahl des Permanent Chair und Permanent Secretary. In der Regel wird der Temporary Chair, der automatisch für die Wahl des Permanent Chair vorgeschlagen ist und für die Durchführung des Caucus auch ausgebildet wurde, gewählt. Nachdem die Iowa Democratic Party vorgestellt wurde, besteht die Chance für lokale Politiker und andere Mandatsträger, für sich zu werben. Braucht ein Demokratischer Kandidat z.B. noch Unterschriften von Wähler*innen, um zu einer bestimmten Wahl zugelassen zu werden, kann er zu diesem Zeitpunkt versuchen, Unterschriften der Anwesenden sammeln.  Im Anschluss bittet die Partei um Spenden, diese können entweder direkt vor Ort entrichtet oder per Text-to-Give Option digital veranlasst werden. Da der Caucus von der Partei selbst finanziert wird, sind Spenden an diesem Abend besonders willkommen.

Dann beginnt endlich das eigentliche Spektakel. Als Grundlage für die nächsten Schritte muss zuerst die Teilnehmerzahl festgestellt und darauf basierend die Anzahl an Teilnehmer*innen errechnet werden, die die Kandidaten mindestens auf sich vereinen müssen, um für eine Zuteilung an Delegierten in Betracht zu kommen (Viability Threshold). Ziel aller Kandidaten ist es, möglichst viele Delegierte in allen Precincts  zu gewinnen. Da die Demokratische Partei ihre Delegierten proportional vergibt und den Precincts eine jeweils unterschiedliche Anzahl an Delegierten zusteht (basierend auf der Stärke der Demokratischen Partei vor Ort), müssen die Unterstützergruppen der Kandidaten einen bestimmten prozentualen Stimmanteil der Teilnehmer*innen erhalten, der von der zu vergebenden Menge an Delegierten abhängig ist. Dieser Anteil liegt bei vier zu vergebenen Delegierten bei 15%, sind weniger als vier Delegierte zu vergeben, liegt der Viability Threshold höher: bei drei Delegierten sind es 16,66%, bei zwei Delegierten 25% und bei Vergabe von nur einem Delegierten entscheidet die Majority Vote.

Ein Beispiel aus dem Iowa Delegate Selection Plan: Wenn ein Precinct-Caucus fünf Delegierte vergeben kann und 25 Teilnehmer*innen vor Ort sind, muss ein Kandidat mindestens vier Teilnehmer*innen für sich gewinnen, um für die Verteilung der Delegierten in Betracht zu kommen (25 x 0,15 = 3,75; aufgerundet zu vier). Wie viele Delegierte den Kandidaten schlussendlich genau zustehen, wird später in einem zweiten Schritt errechnet. Zu Beginn des Prozesses sollen erst einmal die Kandidaten "ausgesiebt" werden, die nicht genügend Unterstützer vor Ort vorweisen können.  Nach dieser ersten mathematischen Leistung beginnt dann das Werben um Unterstützung. Die Anhänger der Kandidaten sammeln sich und verteilen sich in Gruppen innerhalb des Raums. In diesem Schritt kommt es zu lebhaften Diskussionen, die Anwesenden versuchen sich gegenseitig von den Vorzügen bestimmter Kandidaten zu überzeugen – gerne auch in einem lautstarken Austausch über die Vor- und Nachteile der einzelnen Bewerber. Daher ist es wichtig für die Kandidaten, in den jeweiligen Treffen durch Repräsentanten der Kampagne vertreten zu sein. Diese Precinct Captains sind von den Kampagnen trainierte Freiwillige, die während dem Caucus für ihren Kandidaten werben und Unterstützung für ihn oder sie vor Ort organisieren. Die Teilnehmer*innen ordnen sich innerhalb des Raums (Sporthalle, Gemeindehaus, Bibliothek usw.) entsprechend ihrer Kandidaten-Präferenz den einzelnen Candidate Preference Groups zu, das Endergebnis nennt sich First Expression of Preference und ist der erste spannende Schritt.

Der Chair zählt nun die Mitglieder der einzelnen Gruppen, verkündet die Ergebnisse und gibt auch bekannt, welche Gruppe zu wenige Mitglieder hat. Denn wenn sich weniger als 15% der Anwesenden für einen Kandidaten entscheiden und der Viability Threshold somit nicht erreicht wird, müssen sich die Anhänger nach einer Bedenkzeit, oft lediglich 30 Minuten, neu verteilen und ihrer zweiten Kandidatenpräferenz zuordnen (Realignment). Wenn also z.B. Unterstützer von Amy Klobuchar innerhalb eines Caucus nur 12% der Anwesenden ausmachen, so könnten sie relevant für die Gruppen um Joe Biden und/oder Pete Buttigieg werden und von diesen animiert werden, das Lager zu wechseln. Hier wird es nicht nur mathematisch, sondern vor allem strategisch interessant.

Es ist zum Beispiel auch möglich, dass sich Anhänger aus ehemals zu schwachen Gruppen zusammenschließen, sich die Gruppe auf andere Kandidaten aufteilt oder die Anhänger die Unterstützung eines anderen Kandidaten komplett ablehnen. Unterstützer von Kandidaten, deren Gruppe schon aus 15% oder mehr der Anwesenden besteht, können sich jedoch nicht neu verteilen – dies trifft auch auf die Gruppe der Uncommitted zu, sollte sie 15% oder mehr erreichen. Die Partei will somit vermeiden, dass sich der Abend zu sehr in die Länge zieht, Wähler*innen früher nach Hause gehen können und die erste Wahl der Wähler*innen auch korrekt wiedergegeben werden kann.

Das Ergebnis dieser zweiten Runde, Realignment, nennt sich dann Final Expression of Preference und wird ebenso wie die First Expression of Preference auf der Candidate Preference Card vermerkt, die jeder Teilnehmer bekommt. Diese Karten sind für jeden Precinct individuell markiert und nummeriert. Die zweite Seite der Karte, der Abschnitt für die Final Expression, darf nur von Teilnehmer*innen ausgefüllt werden, die sich zuvor in einer Non-Viable Gruppe befanden.

Zu diesem Zeitpunkt wird erneut gerechnet. Die Delegate Allocation Formula (Anzahl der Menschen in einer Gruppe x Anzahl der Delegierten des Precincts / die Anzahl der Caucus-Teilnehmer*innen) bestimmt, wie viele Delegierte den einzelnen Gruppen zustehen. Auch hier wird das Ergebnis aufgerundet. Noch einmal ein Beispiel aus dem Trainingsmodul der Demokraten: Ein Caucus mit 65 Teilnehmer*innen muss 9 Delegierte im Precinct vergeben. Es haben sich vier Gruppen gebildet, die alle Viable sind. Die Gruppen bestehen jeweils aus (A) 25, (B) 16, (C) 13 und (D) 11 Personen. Durch die Formel ergibt sich nun, aufgerundet, folgende Verteilung der Delegierten: Gruppe A erhält drei Delegierte, die restlichen Gruppen jeweils 2 Delegierte. Sollte der Sonderfall eintreten, dass sich mehr Viable Gruppen bilden, als es Delegierte im Precinct gibt (nicht unvorstellbar angesichts der großen Kandidatenfelds der Demokraten), muss sich die kleinste Gruppe auflösen, neu verteilen und auf der Candidate Preference Card unter dem Absatz F(6)C die dritte Wahl neu vermerken. Und auch wenn es durch die Aufrundungen zu einer Verteilung von mehr Delegierten kommt, als dem Precinct zustehen, muss neu gerechnet werden und Gruppen können in diesem Fall auch Delegierte wieder verlieren.

In diesem Jahr wird es mit der First und Final Expression grundsätzlich nur zwei Entscheidungsrunden geben, so sollen auch ausufernde Caucus-Abende wie in den vergangenen Jahren vermieden werden. Im Anschluss werden dann innerhalb der jeweiligen Presidential Preference Group die Delegierten gewählt, die den Kandidaten auf der entsprechenden County Convention vertreten werden. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: In Gruppe (A) müssen sich drei Personen finden, die als Delegierte den Prozess auf dem nächsten Parteitreffen fortsetzen. Denn auch wenn sich die mediale Aufmerksamkeit nach Vollendung des Caucus sofort auf die Wahl in New Hampshire konzentriert, ist der Prozess in Iowa noch längst nicht beendet. Denn nun beginnt der Convention Climb im Staat.

Wichtig anzumerken ist an dieser Stelle, dass es in den 1.678 Precincts nicht direkt um die 41 Delegierten geht, die im Sommer für Iowa auf dem Parteitag der Demokraten abstimmen werden. Vielmehr werden in diesen 1.678 "Nachbarschaftstreffen" in einem ersten Schritt die Delegierten gewählt, die dann den Marsch durch die Institutionen – in diesem Fall durch die diversen Conventions in Iowa – antreten. Und die Anzahl an Delegierten ist beachtlich: 11.402 Delegierte für die County Conventions werden an diesem Abend bestimmt.

Zwar veröffentlicht die Partei nach Ende des Caucus ein Ergebnis mit der voraussichtlichen Verteilung der 41 Delegierten, aber die eigentliche Bestimmung dieser Delegierten steht noch aus. Das bedeutet, dass die im Precinct-Caucus gewählten Delegierten auf den darauffolgenden 99 County Conventions am 21. März die Delegierten für die vier District Conventions am 25. April und für die darauffolgende State Convention am 13. Juni wählen. Auf diesen beiden Conventions werden erst die endgültigen 41 Delegierten für die Democratic National Convention bestimmen. Die District Convention bestimmt die 27 District Delegates, die State Convention die 9 At-Large Delegates und die 5 PLEOs.

Um aber den Medien und Wähler*innen schon nach Ende des Caucus-Abends ein Ergebnis präsentieren zu können, wird bei den Demokraten fleißig gerechnet. Die Iowa Democratic Party nutzt dafür eine bestimmte Formel, die anhand der in den Precincts an die Kandidaten vergebenen Delegierten ausrechnet, welche Anzahl an Delegierten den Kandidaten für die State Convention zusteht. Dies nennt sich State Delegate Equivalents. Um in diesem Jahr mehr Transparenz und Fairness zu garantieren, will die Demokratische Partei die Verteilung der National Convention Delegates verkünden, sobald alle Ergebnisse aus den Precincts eingetroffen sind. So soll verhindert werden, dass die darauffolgenden Conventions das Ergebnis verzerren oder ändern.

In Iowa vergibt die Demokratische Partei insgesamt 41 Delegierte, 9 davon basieren auf den landesweiten Ergebnissen (At-Large) und 27 auf den Ergebnissen in den vier Kongressbezirken (Congressional Districts), die wiederum in kleinere Bezirke (Precincts) aufgeteilt sind. Fünf Delegierte sind Party Leaders and Elected Officials (PLEOs), die aber dem Caucus-Ergebnis verpflichtet sind. Zusätzlich stellt Iowa auch acht sogenannte Superdelegates bereit, deren Abstimmungsverhalten auf der Democratic National Convention, dem Parteitag der Demokraten, offiziell aber nicht direkt von den Wahlergebnissen im Staat abhängt.

In den Vorwahlen vergibt die Demokratische Partei insgesamt 3.979 Delegierte, Kandidat*innen müssen also insgesamt mindestens 1.990 Delegierte gewinnen, um auf dem Parteitag Mitte Juli offiziell gewählt zu werden.

Oft vernachlässigt in der Berichterstattung wird übrigens der ursprüngliche Grund für die Veranstaltung eines Caucus in Iowa: Die Partei diskutiert nach der Wahl der Delegierten noch über ihre Plattform, verabschiedet Vorschläge, welche dann an das County Platform Committee weitergereicht werden und regelt andere Sach- und Personalfragen der Partei. Dies geschieht zudem alle zwei Jahre, nicht nur wenn der Präsidentschaftswahlkampf vor der Tür steht. Daher legt die Partei auch auf folgende Feststellung immer viel Wert: Ein Caucus ist keine Wahl, sondern eben ein Caucus – mit seinen ganz eigenen Regeln und Herausforderungen.

Demokratisches Paradebeispiel oder exklusiver Prozess?

Der Caucus in Iowa dominiert zwar die Berichterstattung und verschlingt die Aufmerksamkeit und finanziellen Mittel der Kandidaten, ist jedoch nicht ohne Kritik. Die zwei zu meist genannten Kritikpunkte beziehen sich hier auf die Frage nach der Zugänglichkeit des Prozesses und Repräsentativität des Bundesstaates.

Wie inklusiv ist der Prozess? Es erfordert schon einiges, wenn Wähler*innen sich an einem kalten und vielleicht verschneiten Montagabend für mehrere Stunden in der lokalen Sporthalle versammeln sollen, um dort aktiv über die Kandidaten zu diskutieren. Für Menschen mit einer Behinderung, PTSD, Senioren, Schichtarbeiter oder Militärangehörige im Ausland ist das Format oft eine Zumutung beziehungsweise nicht realisierbar. Um den Prozess zugänglicher und inklusiver zu gestalten, war für diesen Wahlzyklus auch eine Art "virtueller Caucus" angedacht, was aufgrund von Sicherheitsbedenken des Democratic National Committees jedoch nicht weiter verfolgt wurde. Durch das eingangs erwähnte Satellite-Caucus Modell sollen auch die oben genannten Zielgruppen besser erreicht werden. So kann ein sogenannter Satellite-Caucus z.B. auch außerhalb von Iowa stattfinden oder an einer Universität oder einem Altenheim, da hier die Wähler*innen ortsgebunden sind und nicht ihren eigentlichen Precinct aufsuchen können. Auch kann diese Art des Caucus früher beginnen, da sich z.B. Schichtarbeiter in einer Fabrik zur Abstimmung treffen.

2016 nahmen 171.517 Demokratische Wähler*innen teil am Caucus, zu diesem Zeitpunkt wurden in Iowa insgesamt 586.835 Demokraten als aktive Wähler*innen im Verzeichnis geführt, die Gesamtzahl aller aktiven Wähler*innen betrug 1.937.317. Im Januar 2020 weist das Wählerverzeichnis in Iowa aktuell 614.519 Demokraten aus, insgesamt sind 2.017.205 Bewohner Iowas als aktive Wähler*innen registriert. Interessanterweise ist die größte registrierte aktive Wählergruppe die der No Party Wähler*innen (746.492 im Jahr 2020), also die Unabhängigen. Da es sich in Iowa jedoch um einen Closed Caucus handelt, darf diese Gruppe nicht am Caucus teilnehmen – es sei denn, sie registrieren sich vorher als Demokraten.

Ein großes Kandidatenfeld könnte zudem bedeuten, dass ein Kandidat weniger als 25% der Stimmen auf sich vereint und dennoch gewinnt. Vor Ort sind natürlich auch vor allem die besonders engagierten Parteigänger und Aktivisten aktiv, und durch die öffentliche Zuordnung zu verschiedenen Gruppen kann man auch von keiner geheimen Wahl sprechen, so wie wir sie im deutschen Kontext kennen. Von dem Format profitieren besonders Kandidaten, die eine engagierte und leidenschaftliche Wählerfraktion auf sich vereinen können. So war es z.B. bei Barack Obama 2008 und Bernie Sanders 2016 der Fall, deren Unterstützer zahlreich erschienen und so Hillary Clinton besiegten (2008) bzw. nur äußerst knapp unterlagen (2016).

Was sagt Iowa aus über die USA?

Nicht nur das Format des Caucus wird entlang dieser Punkte kritisiert, auch der Austragungsort Iowa als First in the Nation wird von vielen kritisch beäugt. Iowa exportiert in erster Linie Mais, Traktoren und Schweinefleisch, die Bevölkerung ist zu knapp 85% - 90% weiß (abhängig von der Zuordnung der Latino-Bevölkerung), 77% der Bevölkerung ordnet sich dem Christentum zu. Die politisch größte Gruppe stellen die Unabhängigen mit 36% dar, Demokraten und Republikaner kommen jeweils auf knapp 31% registrierte Wähler. Kritiker merken an, dass der Staat somit weit entfernt davon ist, das Elektorat der Demokraten und die demographische Entwicklung in den USA zu repräsentieren und somit Kandidaten zu bevorzugen, die weniger dem Demokratischen Profil entsprächen. Zudem erhielten besonders treue Wählergruppen der Demokraten, schwarze Frauen zum Beispiel, erst in South Carolina die Möglichkeit, ihrer Präferenz Ausdruck zu verleihen. Verteidiger des Iowa-Caucus merken an dieser Stelle an, dass Iowa eher als Teil eines repräsentativen Puzzles gesehen werden sollte. So kann der Staat im Kontext der drei folgenden Staaten (New Hampshire, Nevada, South Carolina) Auskunft über die Wahlpräferenz der weißen und ländlich geprägten Bevölkerung geben, ein für die Demokraten ebenfalls relevantes Segment des Elektorats. Ebenso wird der Sieg von Barack Obama 2008 als Argument angeführt, dass letztendlich eine gute Kampagne vor Ort der entscheidende Faktor ist – nicht die Hautfarbe der Kandidaten.

Ein zweiter wichtiger Punkt betrifft die Organisation und Schlagkraft von Kampagnen. Es reicht in Iowa nicht, nur in den Städten oder in den Bezirken rund um Universitäten gut abzuschneiden. Kandidaten müssen vielmehr beweisen, dass sie auch in den ländlichen Gebieten wettbewerbsfähig sind. Hierzu benötigen sie die Infrastruktur, in erster Linie ein gut organisiertes Team, viele freiwillige Helfer und genügend finanzielle Mittel. Die Teams müssen im ganzen Staat verteilt, gut geschult in der Berechnung der Delegierten, um am Wahlabend effektiv Unterstützung organisieren zu können, und in den politischen Belangen versiert sein, um Wähler*innen von ihren Kandidaten zu überzeugen. Und die Kandidaten selbst müssen im ganzen Staat unterwegs sein, Hände schütteln, frittierte Köstlichkeiten zu sich nehmen und die Kunst des Retail Politics (eine Form der politischen Kampagne, in welcher der Fokus auf dem direkten Austausch der Kandidaten mit den Wähler*innen liegt) üben. Wer einmal ambitionierte amerikanische Politiker treffen möchte, muss nur zur Caucus-Zeit in Iowa Urlaub machen – da ist ein Treffen garantiert.

Und zum Schluss sei angemerkt: Der Iowa-Caucus ist daher gleichzeitig auch ein Beispiel für eine aktiv gelebte demokratische Auseinandersetzung bei der Kandidatenwahl. Kein verstecktes Kreuz auf einem Wahlzettel, sondern eine lebhafte Diskussion unter Mitgliedern der Gemeinde und eine umfangreiche Mobilisierung auf dem Grassroots-Level. Denn auch wenn die Demokratische Partei den Prozess organisiert, zahlreiche Freiwillige helfen letztendlich bei der Durchführung.

Iowa – Much Ado about Nothing?

Iowa als entscheidender Startschuss in den Vorwahlprozess – von solch einem Narrativ profitiert natürlich nicht nur der Staat, sondern auch vor allem die Demokratische Partei und deren stetig wachsender politischer Einfluss vor Ort und auf der nationalen Ebene. Für Iowa ist die Position als erster Staat im Vorwahlprozess sogar so bedeutend, dass sie gesetzlich geregelt ist:

"The date shall be at least eight days earlier than the scheduled date for any meeting, caucus, or primary which constitutes the first determining stage of the presidential nominating process in any other state, territory, or any other group which has the authority to select delegates in the presidential nomination."

Doch verdient der Caucus in Iowa eigentlich diese Aufmerksamkeit? Wie entscheidend ist das Wahlergebnis aus Iowa wirklich für die weiteren Wahlen im Rest der Vereinigten Staaten? Ein Sieg oder ein unverhofft gutes Abschneiden ist für Kandidaten natürlich keineswegs unwillkommen. Man denke nur an Barack Obama 2008, dessen Sieg in Iowa eine klare Signalwirkung an schwarze Wähler*innen in South Carolina war und sie von seiner Wählbarkeit (Electability) überzeugte. Oder auch den eingangs erwähnten Jimmy Carter. Für die Demokraten erwies sich Iowa bisher als relativ verlässlich, was die Bestimmung des letztendlichen Präsidentschaftskandidaten betrifft. 1992 landete Bill Clinton in Iowa zwar noch auf Platz vier, aber seit dem 2000er Caucus hat Iowa in der Bestimmung des Demokratischen Präsidentschaftskandidaten immer richtig gelegen. Neuere Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass die Ergebnisse der diversen Vorwahlen eher ein Aspekt von vielen sind, die die Wahlentscheidung von Wähler*innen beeinflussen und keinen signifikanten Einfluss auf Wähler*innen ausübt. Ein Sieg in Iowa ist somit eher eines von vielen Elementen (neben TV-Anzeigen, Skandalen, Debatten uvm.), die auf das Elektorat wirken. Zudem ist der den Vorwahlen vorausgehende Invisible Primarymittlerweile so dominant und weitaus weniger unsichtbar als noch vor einigen Jahren, so dass die Wähler*innen schon weitaus früher und intensiver mit den politischen Kandidaten konfrontiert werden und sich eine Meinung bilden. 

In einem Kandidatenfeld, in dem vier Kandidaten (Joe Biden, Bernie Sanders, Elizabeth Warren, Pete Buttigieg) so eng beieinander in den Umfragewerten verortet sind, kreiert die proportionale Verteilung der Delegierten auch nicht zwangsläufig einen Frontrunner. Hierauf spekulieren Kandidaten wie Mike Bloomberg, der sich mit nahezu unerschöpflichen finanziellen Mitteln selbst finanziert und die ersten vier Vorwahlstaaten komplett ignoriert. Bloomberg hofft auf ein Unentschieden in Iowa und auf unterschiedliche Gewinner in den folgenden drei Staaten. Er selbst könnte dann am Super Tuesday, dem 3. März, davon profitieren, dass er in den späteren Vorwahlstaaten intensiv für sich geworben hat, während die Aufmerksamkeit der Presse noch auf Iowa lag. Interessanter als die 41 Delegierten aus Iowa sind für Bloomberg dann z.B. die 416 Delegierten, die Kalifornien am Super Tuesday vergibt. Insgesamt vergibt die Partei in den ersten vier Vorwahlstaaten auch nur 3.9% der Delegierten, im März geht es dann schon um stattliche 34.1%.

Ausblick

Trotz aller Kritik und dem äußerst komplexen Verfahren erwarten Beobachter eine hohe Teilnehmerzahl bei den diesjährigen Abstimmungen in Iowa. Das erfreut die Demokratische Partei zwar, da es insgesamt für einen Mobilisierungsschub in den diesjährigen Wahlen sprechen könnte, gleichzeitig droht aber auch Chaos am Wahlabend.

Zudem könnte es aufgrund der hohen Anzahl an Kandidaten und der proportionalen Verteilung der Delegierten auch zu einem denkbar knappen Ergebnis kommen, wodurch mehrere Kampagnen den Wahlabend als Erfolg für sich deklarieren dürften. Da die Partei nicht nur das Endergebnis der voraussichtlichen Delegierten-Verteilung, sondern auch die First Expression of Preference und die Final Expression of Preference veröffentlichen wird, dürfte dies auch ein narrativer Rettungsring für die Kandidaten sein, deren Ergebnis eher bescheiden ausfällt. So schreibt Brianne Pfannenstiel vom Des Moines Register: "The candidate who wins the delegate count, for example, will likely be able to argue they out-organized their competitors. […] But the candidate who wins the most support in the first alignment could say they would have won the night had Iowa held a simple primary contest. […] And the person who tallies the most supporters in the final alignment could make the case they can create the broadest coalition." Denn was viele Kandidaten sich von Iowa in erster Linie erhoffen, sind nicht unbedingt die Delegiertenstimmen, sondern Momentum, also eine positive Wahrnehmung und einen Schwung für ihre Kampagne. Um noch einmal Pfannenstiel zu zitieren:

"But the caucuses have never just been about who actually gets the most delegates […]. The real winner in Iowa has always been the candidate who captures the media narrative and claims momentum going into the rest of the primary race."

Somit ist fraglich, ob es bei einem engen Rennen eventuell zu längeren Kontroversen kommt und sich die Kampagnen über die Verteilung der Delegierten beschweren oder sie kritisieren. Schon 2016 war das Rennen zwischen Hillary Clinton und Bernie Sanders mit 49.9% zu 49.6% so eng, dass einige Abstimmungen in den Precincts durch Werfen einer Münze entschieden wurden, die Sanders-Kampagne das Ergebnis anzweifelte und eigene Berechnungen anstellte. Der hauchdünne Abstand von 0.3% resultierte zudem in einem Unterschied von zwei Delegierten (Clinton erhielt 23, Sanders 21), was für viele Beobachter überraschend bis unverständlich war. Denn die Partei gab damals lediglich die State Delegate Equivalents bekannt, also wie viele Delegierte voraussichtlich nach der State Convention den Kandidaten zuteilwerden. In diesem Jahr soll es, wie erwähnt, auch die Zahlen der First und Final Expression of Preference geben. Dies resultierte aus den Erfahrungen im Jahr 2016 und dem Wunsch, den Prozess transparenter zu gestalten – und natürlich auch, den Status von Iowa als erstem Staat in den Vorwahlen nicht zu gefährden.

Spannend bleibt es also allemal, gaben noch zu Beginn des Jahres nur 31% der Wählerinnen an, sich für einen Kandidaten endgültig entschieden zu haben. 57% der Wähler*innen beschrieben ihre Wahlentscheidung hingegen als "wahrscheinlich".  Mitte Januar schrieb der Des Moines Register  "45% who say they could still be persuaded to support someone else and another 13% who have not picked a favorite candidate yet" über die Demokratische Wählerschaft. Klarheit wird es wohl erst am 3. Februar geben.

Weiterführende Literatur

270 to win, 2020: 2020 Democratic Presidential Nomination. https://www.270towin.com/2020-democratic-nomination.

Associated Press, 2018: Iowa pig population reaches record 23.6 million, in: Des Moines Register, 27. September, https://eu.desmoinesregister.com/story/money/agriculture/2018/09/27/iowa-pig-population-23-6-million-usda-how-many-pigs-iowa-united-states/1451081002/.

CBS News, 2019: Battleground Tracker. https://drive.google.com/file/d/1YoVEJY6TBhHvfrmNoApfpvOHNtNM6t6O/view

Clinton, Joshua D./Engelhardt, Andrew M./Trussler, Marc J., 2019: Knockout Blows or the Status Quo? Momentum in the 2016 Primaries, in: The Journal of Politics, 81:3, 997-1013.

Hermann, Jonah, 2019: Iowa Democratic Party Announces Satellite Caucus Locations for 2020 Caucuses, Iowa Democratic Party Press Release, 18. Dezember, https://iowademocrats.org/iowa-democratic-party-announces-satellite-caucus-locations-2020-caucuses/.

Independent Voter Project. https://independentvoterproject.org/voter-stats/ia

Iowa Caucus Project, 2020: https://iowacaucusproject.com/how-to-caucus/.

Iowa Data Center. https://www.iowadatacenter.org/quickfacts#section-6.

Iowa Democratic Party: Iowa Delegate Selection Plan. https://iowademocrats.org/wp-content/uploads/sites/3/2019/02/2020-Iowa-DSP-DRAFT-2.11.19.pdf.

Lau, Sam, 2016: Statement from IDP Chair on Tonight’s Historically Close Caucus Results, Iowa Democratic Party, 2. Februar, https://web.archive.org/web/20160206012214/http:/iowademocrats.org/statement-from-idp-chair-on-tonights-historically-close-caucus-results/.

Montanaro, Demonico, 2016: How Exactly Do The Iowa Caucuses Work?, in: NPR, 30. Januar, https://www.npr.org/2016/01/30/464960979/how-do-the-iowa-caucuses-work?t=1579789905747.

Pew Research Center, 2014: Religious Landscape Study. Iowa. https://www.pewforum.org/religious-landscape-study/state/iowa/

Pfannenstiel, Brianne, 2019: Could multiple candidates 'win' the Democratic caucuses? New rules make it possible, in: Des Moines Register, 15. Dezember, https://eu.desmoinesregister.com/story/news/elections/presidential/caucus/2019/12/14/democratic-presidential-candidates-may-lay-claim-winning-iowa-caucuses-they-may-not-wrong/2568057001/.

Pfannenstiel, Brianne, 2020: Bernie Sanders leads the Iowa Poll for the first time, just weeks before the Iowa caucuses, in: Des Moines Register, 10. Januar, eu.desmoinesregister.com/story/news/politics/iowa-poll/caucus/2020/01/10/iowa-poll-2020-bernie-sanders-lead-iowa-caucus-president-election/4426492002/.

Rubin, Jennifer, 2019: Why Iowa is so complicated, in: The Washington Post, 23. Dezember, https://www.washingtonpost.com/opinions/2019/12/23/here-is-why-iowa-is-so-complicated/.

Scott, Eugene, 2019: Castro argues that Iowa does not reflect America’s diversity enough to lead the primaries, in: The Washington Post, 13. November, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/11/13/castro-argues-that-iowa-does-not-reflect-americas-diversity-enough-lead-primaries/.

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The Register's Editorial, 2016: Editorial: Something smells in the Democratic Party, in: Des Moines Register, 5. Februar eu.desmoinesregister.com/story/opinion/editorials/caucus/2016/02/03/editorial-something-smells-democratic-party/79777580/