Der 118. Kongress – Spielraum für Störfeuer

von Sarah Wagner, M.A.

„The terms of the President and Vice President shall end at noon on the 20th day of January, and the terms of Senators and Representatives at noon on the 3d day of January […]”, so will es der erste Absatz im 20. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung. So weit, so unspektakulär. Doch zu Jahresbeginn zeichnete sich deutlich ab, dass der 118. Kongress doch etwas ungewöhnlicher werden könnte als seine Vorgänger. Zwar trat der Kongress am 3. Januar zusammen, doch zu einer Vereidigung der Mitglieder des Repräsentantenhauses kam es erst am 7. Januar. Was verraten uns die ersten Arbeitswochen im Repräsentantenhaus und was wird uns in den nächsten Wochen und Monaten begleiten?

Die Wahl(en) zum Sprecher des Repräsentantenhauses

Der Vereidigung vorausgegangen war ein historischer Kampf um den Posten des Sprechers, den der Republikaner Kevin McCarthy (CA-22) erst nach stolzen 15 Wahlgängen mit 216 der 428 abgegebenen Stimmen für sich entschied. Die Gruppe, die ihre Zustimmung verweigerte, setzte sich aus unterschiedlichen Abgeordneten mit verschiedenen Motivationen zusammen. Die überwiegende Mehrheit stammte aus dem Freedom Caucaus oder wurde von ihm unterstützt. Ein großer Teil vertritt die Wahllüge von 2020 explizit und stimmte auch am 6. Januar 2021 gegen die Zertifizierung der Wahl. Fast alle eint eine tiefe Abneigung gegen McCarthy, der von ihnen als prinzipienlos, korrupt und Teil des Establishments gesehen wird. Sie sind im Durchschnitt  “more conservative than 98 percent of the 117th Congress (if they served in it) and more anti-establishment than 93 percent”,  also der extrem rechte Flügel der Partei.

Der letztendliche Sieg beruhte nicht darauf, dass McCarthy die gesamte Abweichlergruppe von zwischendurch 21 Personen von sich überzeugen konnte. Vielmehr stimmten sechs Abgeordnete in der 15. Runde mit „present“ (anwesend), wodurch ihre Stimmen nicht berücksichtigt werden mussten. Somit reichten die 216 Stimmen für McCarthy, der im Zuge der Verhandlungen seinen Gegner*innen diverse Ausschussposten, Regeländerungen und Themenschwerpunkte versprach. Und genau diese Abkommen und Versprechungen werden seine Arbeit im Kongress nicht nur prägen, sondern aller Voraussicht nach auch enorm erschweren. Unter den Zugeständnissen McCarthys ist beispielsweise die Möglichkeit, dass basierend auf den Wünschen von nur einem Parteimitglied der Prozess für seine Absetzung eingeleitet werden kann – ursprünglich wollte er nur einer Hürde von fünf Personen zustimmen, die eine Abstimmung in die Wege leiten könnten. Durch diese Änderung erfährt jedes Mitglied der Republikaner einen enormen Machtzuwachs und McCarthy ist in seinen politischen und strategischen Handlungsmöglichkeiten enorm eingeschränkt.

Auch inhaltlich konnten die Gegenspieler*innen des neuen Sprechers deutliche Akzente setzen. Die neu verabschiedeten Regeln für das Repräsentantenhaus vereinfachen es, bestimmte Ausgabenerhöhungen oder Steuerregelungen zu blockieren. Jede Steuererhöhung braucht von nun an die Zustimmung von mindestens 60% der Abgeordneten im Haus. Und auch die Erhöhung der Schuldenobergrenze findet nun nicht mehr automatisch mit der Verabschiedung des Budgets statt, sondern muss separat vom Haus verabschiedet werden. Insbesondere der letzte Punkt zeichnet sich schon jetzt als Problem ab und wird die Regierung und den Kongress noch intensiv beschäftigen.

Interessanterweise sind anscheinend nicht alle getroffenen Übereinkünfte zwischen McCarthy und der Gruppe an Abweichlern bekannt, selbst innerhalb der Republikanischen Partei. So soll es ein Dokument mit weiteren Zusagen für Mitglieder des Freedom Caucus geben, die bisher noch unbekannt sind.

Der parteiinterne Machtkampf der Republikanischen Partei verdeutlichte erneut, dass die nächsten zwei Jahre von Auseinandersetzungen und Grabenkämpfen geprägt sein werden. Laut neuer Umfragen des Instituts Ipsos blicken auch die Amerikaner*innen realistisch und pessimistisch in die nahe Zukunft: “Three in five (61%) Americans agree that Republicans and President Biden are less likely to get anything done over the next two years as a result of the fight for Speaker of the House.”

Personen und Posten

Wie sich die neuen Machtverhältnisse innerhalb der Partei gestalten, zeigt sich auch deutlich an der Personalpolitik und der Besetzung der verschiedenen Ausschüsse. Denn auch die Vergabe vieler Posten war Teil der Deals, die McCarthy mit seinen Gegenspieler*innen schließen musste. Vertreter*innen des Trump’schen Lagers, Leugner*innen des Wahlergebnisses sind somit im Oversight and Accountability Committee vertreten; der Ausschuss, der für die Beaufsichtigung und Überwachung der Exekutive zuständig ist. Egal ob es um das Verbreiten von Verschwörungserzählungen geht oder Sympathie für die Personen gezeigt wird, die aufgrund der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar aktuell angeklagt sind, das rechte Lager der Partei ist in wichtigen Ausschüssen vertreten und kann dies als Sieg verbuchen. Matt Gaetz aus Florida, Marjorie Taylor Greene aus Georgia, Paul Gosar aus Arizona, Lauren Boebert aus Colorado oder auch Scott Perry aus Pennsylvania - bekannte Anhänger*innen von Trump werden das Geschehen im Repräsentantenhaus maßgeblich mitbestimmen. Zur Erinnerung: Marjorie Taylor Greene und Paul Gosar wurden in der letzten Sitzungsperiode des Kongresses noch von den Demokraten aus ihren Ausschüssen geworfen. Gosar hatte ein Gewaltvideo auf Twitter geteilt, Taylor Greene hatte online ebenfalls Aufrufe zur Gewalt gegen Demokrat*innen unterstützt sowie diverse anti-semitische und rassistische Bemerkungen gemacht.

Eben diese Taylor Greene sitzt zudem auch im Committee on Homeland Security, dem Ausschuss für Innere Sicherheit. Bemerkenswert für eine Person, die unter anderem den 11. September anzweifelte und Verschwörungserzählungen über die Ereignisse verbreitete. Der ehemalige Chief of Staff des Department of Homeland Security, Miles Taylor, bezeichnete Taylor Greene auch umgehend als Gefahr für die nationale Sicherheit

Politischer Spielraum und Untersuchungen

Der legislative Spielraum für die Republikaner ist begrenzt, eingeschränkt durch die Demokratische Kontrolle des Senats und Weißen Hauses sowie durch die Grabenkämpfe in der eigenen Partei. Diese Ausgangslage, gepaart mit einem Desinteresse an substanzieller legislativer Arbeit, führt dazu, dass sich die Partei auf ihre Kontrollfunktion sowie Abstimmungen zu symbolischen „Messaging“-Gesetzesentwürfen konzentrieren wird. Beispielhaft dafür sind die ersten zwei Abstimmungen entlang Parteilinien im Januar, die sich auf randläufige Aspekte des Abtreibungsrechts konzentrierten und nur äußerst geringe Chancen haben, im Senat überhaupt diskutiert zu werden.

Enthusiastisch betrieben wird die Arbeit im Committee on Oversight and Accountability, der Fokus der Republikaner liegt hier bisher auf drei thematischen Schwerpunkten: eine Untersuchung der Geschäftsbeziehungen von Joe Biden und seiner Familie im In- und Ausland, die Situation an der amerikanisch-mexikanischen Grenze sowie der Ursprung des Coronavirus. Vor allem die geschäftlichen Tätigkeiten von Hunter Biden, Sohn von Joe Biden, stehen im Mittelpunkt der Ermittlungen und sind eine Priorität für den Ausschussvorsitzenden aus Kentucky, James Comer. Nicht nur hat der Ausschuss entsprechende Unterlagen zu bestimmten Transaktionen im Finanzministerium angefordert, auch die Rolle von Twitter soll untersucht werden. Die Republikaner werfen dem Konzern vor, unliebsame Informationen über die Bidens aufgrund von politischem Druck vor der Wahl 2020 unterdrückt zu haben. Für diese Anschuldigungen gibt es bisher keine stichhaltigen Beweise, für den 6. Februar ist zu diesem Thema eine Anhörung im Ausschuss geplant.

Ein bestimmendes Thema in den nächsten Monaten wird die Erhöhung der Schuldenobergrenze sein. Durch die veränderten Regeln im Haus und die starke rechte Fraktion der Republikaner steht eine langwierige Auseinandersetzung, auch ein möglicher Shutdown, bevor. Das Weiße Haus und die Demokraten haben ihre Lektion aus dem Jahr 2011 gelernt und kein Interesse an Verhandlungen, die auf der Kürzung von Sozialprogrammen beruhen. Die Schuldenobergrenze wurde am 19. Januar erreicht, das Finanzministerium kann die Zeit bis zu einer Erhöhung der Grenze noch mit bestimmten Maßnahmen überbrücken, doch eine Entscheidung muss spätestens bis zum 5. Juni fallen. Sollte es nicht gelingen, drohen nicht nur den USA unbequeme Konsequenzen – auch global würde eine Zahlungsunfähigkeit der USA verheerende Folgen haben, so der Spiegel: „Ein Zahlungsausfall der weltgrößten Volkswirtschaft könnte eine globale Finanzkrise und einen wirtschaftlichen Abschwung auslösen. Die USA könnten dann einen Großteil ihrer Rechnungen nicht mehr begleichen – Millionen Menschen könnten ihren Arbeitsplatz verlieren.“

Death by a Thousand Cuts?

Dass die Machtprobe zwischen Kevin McCarthy und dem Flügel um Matt Gaetz und Kolleg*innen kein einmaliges Zwischenspiel war, zeigt auch die bevorstehende Wahl zum Vorsitz des Republican National Committee an diesem Freitag. Hier strebt die bisherige Vorsitzende Ronna McDaniel ihre Wiederwahl an, wird aber von zwei Kandidat*innen herausgefordert, die Donald Trump nahestehen – obwohl dieser McDaniel zu unterstützen scheint, allerdings bisher nicht öffentlich. Die Kritik aus dem MAGA-Lager (Make America Great Again) an McDaniel ähnelt der an McCarthy: Sie sei zu sehr Teil des Establishments, habe mit dem RNC wichtige Wahlen verloren, sie habe keine gute Beziehung zum MAGA-Flügel und man vertraue ihr nicht. Von einem geeinten Auftreten ist die Partei also noch ein gutes Stück entfernt. 

Der Jahresauftakt im Repräsentantenhaus hat erneut verdeutlicht, dass ein gemeinsames Regieren im Repräsentantenhaus mit einer Republikanischen Partei, die zu Teilen eine „illiberale Agenda“ verfolgt und anti-demokratisch sowie anti-pluralistisch auftritt, schwer bis unmöglich sein wird. Die Fokussierung der Partei auf Randthemen, die politisch motivierten Untersuchungen zu Hunter Biden und der Widerstand gegen jede Art von Establishment werden Schritt für Schritt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit wichtigen Themen verdrängen. Das schadet nicht nur dem politischen System der USA, sondern vor allem den Bürger*innen des Landes.