Obamagate und Twitter - Delegitimierung und Ablenkung als Strategie

Sarah Wagner, M.A.

In den USA sind mittlerweile über 100.000 Menschen an Covid-19 gestorben, die Arbeitslosigkeit betrug im April historische 14,7% und Minneapolis steht nach dem Mord am Afro-Amerikaner George Floyd durch einen weißen Polizisten in Flammen, der Protest breitet sich aktuell auf viele weitere amerikanische Großstädte aus. Anstatt vereint mit der Nation zu trauern, weitere ökonomische und überparteiliche Gesetzespakete auf den Weg zu bringen oder die nationale Diskussion um Polizeigewalt konstruktiv zu begleiten, nutzt der Präsident seine vertrauten und bisher erfolgserprobten Strategien: Delegitimierung und Ablenkung. Wie zeigen sich diese gegenwärtig?

Delegitimierung

Die politische Karriere von Donald Trump basiert zu einem großen Teil auf eben dieser Strategie, die sich am deutlichsten in seiner Behauptung widerspiegelt, Barack Obama sei nicht in den USA geboren. Dieses „birther movement“, im Klartext eine rassistische Verschwörungstheorie, bescherte ihm Aufmerksamkeit, war vollkommen inhaltsfrei und erlaubte es ihm dennoch, die mediale Diskussion zu beeinflussen. Daher war es auch nicht überraschend, dass sich ähnliche fabrizierte Geschichten und Lügen bei ihm auch im Wahlkampf 2016 fanden und seitdem nahezu im Minutentakt auf seinem Twitter-Konto geteilt werden. Prominent vertreten waren in den letzten Wochen diverse Tweets, die sich erneut auf den ersten schwarzen Präsidenten bezogen und oftmals lediglich das Wort „Obamagate“ beinhalteten. Was genau dieses Obamagate jedoch sein soll, konnte selbst Trump auf Nachfrage während einer Pressekonferenz nicht erklären. Doch dies musste er auch nicht, für seinen Zweck der Befeuerung der Wählerbasis ist es ausreichend, zu behaupten: „Obamagate. It’s been going on for a long time. […] And it’s a disgrace that it happened. […] Some terrible things happened and it should never be allowed to happen in our country again.” Auf das Nachhaken eines weiteren Journalisten auf der Pressekonferenz, was er denn nun explizit dem ehemaligen Präsidenten vorwerfe, erwiderte Trump: „You know what the crime is. The crime is very obvious to everybody. All you have to do is read the newspapers, except yours.” So reicht es, Behauptungen in den Raum zu stellen und lediglich vage Andeutungen zu machen, da es natürlich nicht um die Wahrheitsfindung geht. Zusammengefasst bringt es The Atlantic auf den Punkt: „The point of “Obamagate” is to try to recapture the force that propelled Trump to political prominence—questioning the legitimacy of the first black president—as he heads toward a difficult reelection campaign in the midst of a global crisis.” Und je mehr über Obamagate gesprochen wird, desto weniger wird natürlich auch über die von Trump entlassenen Generalinspekteure gesprochen. Birtherism und Obamagate gehen Hand in Hand. Es scheint Donald Trump nicht zu reichen, nur das politische Erbe von Barack Obama durch viele Exekutivanordnungen (Executive Orders) aufzuweichen, das eigentliche Ziel scheint die Integrität und der Ruf seines Vorgängers zu sein. All dies geschieht aktuell in einem Kontext, in dem die Themen Polizeigewalt und struktureller Rassismus erneut die Tagesordnung bestimmen und in dem Donald Trump über die örtlichen Proteste der schwarzen Bevölkerung in Minneapolis twittert: „Any difficulty and we will assume control but, when the looting starts, the shooting starts.“ Der Tweet wurde von Twitter als gewaltverherrlichend gekennzeichnet und ausgeblendet, allerdings nicht gelöscht.

Trump wirft auch schon einen Blick in die Zukunft. Indem er die Briefwahl, die in vielen Staaten schon lange und erfolgreich genutzt wird, angreift und vor manipulierten Wahlen warnt, erschafft er schon jetzt den perfekten Nährboden für Zweifel und Misstrauen an den Wahlergebnissen im November. Sollte Trump gewinnen, dann aus seiner Sicht trotz der angeblich versuchten Manipulationen. Doch sollte er verlieren, dann war es aus Sicht seiner Anhänger*innen von vorneherein ein abgekartetes Spiel. Und für seine politische Kommunikation ist es natürlich unbedeutend, wie es um die tatsächlichen Fakten bestellt ist. Auch hier findet ein Angriff auf die Integrität statt, die Integrität des Wahlsystems.

Ablenkung

Seine politischen Gegner und den politischen Prozess anzugreifen und zu delegitimieren, erweist sich ebenso als eine Form der Ablenkung, wie die Fabrikation neuer Skandale und Auseinandersetzungen. Besonders gut beobachten lässt sich dies anhand der momentanen Auseinandersetzung des Präsidenten mit dem Kurznachrichtendienst Twitter.  Nachdem Twitter die Tweets von Trump zum Briefwahlsystem mit einem Faktenchek-Verweis versehen hatte, folgte prompt die Reaktion. Der Präsident erließ ein zweifelhaftes Dekret, mit dem er „gegen die Haftungsausschlüsse der Konzerne hinter den sozialen Medien vorgehen will“. Er wolle, so seine Argumentation, mehr Meinungsfreiheit ermöglichen und Zensur verhindern. Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, reiht sich jedoch in eine lange Diskussion in der Republikanischen Partei und dem konservativen Lager allgemein ein: Das Gefühl, in den sozialen Medien nicht zu Gehör zu kommen und dort vergleichsweise stärker reguliert zu werden. (Dies wird von der Demokratischen Partei natürlich genau gegensätzlich gesehen. Hier beklagt man eine zu große Toleranz der Firmen gegenüber Hassrede, Hetze und Fake News. Dieses Thema ist jedoch einen eigenen Blogpost wert.) Dieses Sentiment findet sich auch im Text des Dekrets wieder: „Online platforms are engaging in selective censorship that is harming our national discourse. Tens of thousands of Americans have reported, among other troubling behaviors, online platforms 'flagging' content as inappropriate, even though it does not violate any stated terms of service; making unannounced and unexplained changes to company policies that have the effect of disfavoring certain viewpoints” (eigene Hervorhebung). Wer mit „certain viewpoints“ gemeint ist, ist nicht schwer zu erraten. Schon im Sommer 2019 hielt der Präsident einen Social Media Gipfel im Weißen Haus ab, zu dem er eine bunte Mischung aus Vertretern und Vertreterinnen des (erz)konservativen Lagers eingeladen hatte und über die vermeintliche Zensur diskutierte. Hier handelte es sich weniger um Journalisten, als um Aktivisten. Die New York Times kommentierte den Gipfel mit den Worten: „[T]he White House Social Media Summit was dominated by activists willing to share unverified smears against Democratic presidential candidates, disseminate QAnon conspiracy theories and create memes the president might share.” Durch die Auseinandersetzung mit Twitter zielt Trump, ebenso wie mit Obamagate oder den Tweets zur Briefwahl, auf seine Wählerbasis und deren Gefühl der permanenten Belagerung, Benachteiligung und Bedrohung ab. Obama, Briefwahl, die sozialen Medien – es ist alles „rigged“, alles manipuliert. Oder wie es Benjamin Wittes und Quinta Jurecic im The Atlantic beschreiben: „There can be no failure, after all, when the subject is always changing—and always returning to the myth of an amorphous evil assembled against Trump. Then there is only endless struggle.“

Die Gefahr

Diese Art der Delegitimierung und Ablenkung mag vielen offensichtlich erscheinen, warum ist es aber doch erwähnenswert und wichtig über sie zu sprechen? In ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ beschreiben die Autoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt die Handlungen autoritärer Politiker, die eine Demokratie bedrohen und untergraben können. An erster Stelle steht die Ablehnung von oder nur schwache Verpflichtung gegenüber demokratischen Regeln, an zweiter Stelle folgt die Leugnung der politischen Legitimität politischer Gegner. An dritter Stelle wird die Toleranz oder sogar Unterstützung für Gewalt genannt und an letzter Stelle die Bereitschaft, die Bürgerrechte von Gegnern zu beschneiden, dies beinhaltet auch die Medien. Es ist nicht das erste Mal, dass Donald Trump alle vier Elemente bedient. Allerdings geschieht es nun zeitgleich mit einer Pandemie, starken gesellschaftlichen Unruhen und kurz vor den Wahlen. Eine verheerende Mischung.