Spannungsfelder in der US-Verfassung. Seminar zu Waffenbesitz und Abtreibung

Bericht von Karoline Färber, Praktikantin

 

Wie korrespondiert das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Leben und Freiheit mit dem Recht, eine Waffe zu tragen? Und wie mit der Selbstbestimmung der Frau bei Reproduktionsentscheidungen? Diesen spannenden Fragen widmeten sich 14 Teilnehmer in einem zweitägigen Seminar an der PfalzAkademie in Lambrecht am 4. und 5. März 2016. Drei Experten in US-amerikanischem Verfassungsrecht, Interessengruppen/Lobbyismus sowie US-amerikanischen Reproduktionsdebatten boten in insgesamt vier Vorträgen umfassende Einblicke in das Spannungsfeld der Verfassungsrechte. Die Veranstaltung startete mit einer Begrüßung durch Dr. David Sirakov, dem Direktor der Atlantischen Akademie. Er stellte die Arbeit der Atlantischen Akademie vor und gab eine kurze Einführung in das The

We the People. Verfassung und verfassungspolitische Grundlagen in den USA

Mit diesem Vortrag legte Prof. Dr. Michael Dreyer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Basis für die folgenden Diskussionen. Dreyer führte die Teilnehmer in die Verfassungsgeschichte der USA ein und gab einen Einblick in die politische Kultur des Landes. Das Publikum lernte die wichtigsten Bestimmungen der Verfassung kennen und erfuhr, wie zentral die sogenannte ‚civil religion‘ für das Selbstverständnis der US-Amerikaner ist. Dreyer erklärte ebenfalls, welche Bestimmungen der Verfassung dazu führten, dass statt einer Gewaltenteilung eine Gewaltenverschränkung die Politik der USA maßgeblich bestimmt – und was die Auswirkungen dessen sind. Sein Vortrag endete mit der Problemstellung Reformbedürftigkeit vs. Reformunfähigkeit der Verfassung, was die Teilnehmer in der anschließenden Fragerunde zu vielen Kommentaren und Nachfragen verleitete.

Zwischen Privatheit und öffentlicher Debatte. Reproduktionsentscheidungen in den USA

Unter diesem Titel stellte Dr. Claudia Roesch von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ihre aktuelle Forschung zum Thema Reproduktionsentscheidungen vor. Roesch begann ihre Ausführungen mit einem Leserbrief, der 1973 an das Ms. Magazine geschrieben worden war. Dieser verdeutlichte, dass Abtreibung nicht erst seit dem aktuellen Wahlkampf um die US-Präsidentschaft ein heiß diskutiertes Thema ist. Die Teilnehmer lernten daher sowohl die vergangene als auch die gegenwärtige Debatte kennen, inklusive der Argumente der Pro-Choice- und Pro-Life-Bewegung. Besonders eindringlich für das Publikum waren die Broschüren und Filme, die Roesch als Beispiele für die drastische Werbung beider Seiten vorstellte. Auch die Radikalisierung militanter Abtreibungsgegner, die trotz der Legalisierung von Abtreibungen in 1973 weiterhin die reproduktiven Rechte vieler Frauen und Familien einschränkten, wurde durch Roesch hervorgehoben. In der Diskussion wurde vor allem die Gesetzeslage in bestimmten Bundesstaaten, die gerade schwangere junge Frauen und Latinas vor große Schwierigkeiten stellt, aufgegriffen.

What’s the Matter with Kansas?

Der Abschluss des Tages bildeten gleich zweierlei: Zunächst stellten auf Wunsch der Teilnehmer Prof. Dr. Michael Dreyer, Dr. David Sirakov und die Bildungsreferentin der Atlantischen Akademie, Sarah Wagner, in einer spannenden Panel-Diskussion über die US-Präsidentschaftswahl die Positionen der Republikanischen und Demokratischen Kandidaten mit Bezug auf Abtreibung und Waffenrecht vor. Anschließend wurde die Dokumentation „What’s the Matter with Kansas?“ gezeigt. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch und zeigt in eindrucksvoller Art und Weise, wie die Konservativen das Herz Amerikas erobert haben. Einzelpersonen, Familien und lokale Politiker werden vorgestellt und legen ihre Sicht der Dinge dar. So erhielten die Teilnehmer einen lebensnahen Einblick in den US-amerikanischen Alltag, was zuweilen Kopfschütteln, aber auch Wiedererkennen hervorrief.

Lobbyists and What They Really Want. Die Welt der Interessengruppen

Der nächste Seminartag begann mit einem Vortrag von PD Dr. Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies über seine Forschung zu Interessengruppen und Lobbyismus. Dr. Thunert erklärte zunächst die Struktur und Typologie von US-Interessengruppen, wobei insbesondere die große Anzahl von Lobby-Gruppen in den USA viele Teilnehmer überraschte. Ebenfalls für viele im Publikum nicht direkt ersichtlich: Der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Interessengruppen. Zu letzteren zählen beispielsweise Gewerkschaften, denen je nach Sozialstruktur über- oder unterdurchschnittlich viele Arbeitnehmer angehören. Mit Blick auf die aktuellen Präsidentschaftswahlen ging Thunert weiterhin auf die strukturellen Besonderheiten des US-Systems ein. So stellte er unter anderem sogenannte foreign-connected PACs vor, die von ausländischen (inklusive deutschen) Firmen getragen werden. Der Referent endete mit einer Vorstellung der verschiedenen Strategien der Interessenvertretung, was im Anschluss zu einem regen Austausch der Teilnehmer führte.

Liberty at Stake? Das Waffenrecht und das Recht auf Leben

Prof. Dr. Michael Dreyer schloss die Veranstaltung mit dem für viele wohl kontroversesten Thema des Seminars ab: Das Waffenrecht in den USA. In seinem Vortrag gab er wiederum einen historischen Überblick, woran sich Zahlen und Fakten rund um den Waffenbesitz anschlossen. Besonders interessant: Obwohl es in den USA ca. 270-300 Millionen Waffen gibt, leben dennoch 69% der Amerikanerinnen und Amerikaner in einem Haushalt ohne Waffen – wer eine Waffe besitzt, besitzt also in der Regel gleich mehrere. Genaues Hinschauen ist auch mit Blick auf das zweite Amendment, das allen Bürgern das Tragen von Waffen erlaubt, erforderlich. So lernten die Teilnehmer, dass ein Komma die Bedeutung des Amendments fundamental verändern kann und was dies für die nachfolgende Auslegung bedeutet. Diese Veränderung vom Kollektiv- zum Individualrecht wurden vor allem durch die Entscheidungen des Supreme Court deutlich, die Dreyer kurz erläuterte. Eine lebhafte Diskussion der Teilnehmer bot einen wunderbaren Abschluss nach zwei spannenden Seminartagen voller Denkanstöße und Input.

Ebenfalls zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen hat die PfalzAkademie Lam-brecht, indem sie für das körperliche Wohl aller Anwesenden und eine angenehme Atmo-sphäre sorgten.