Unbroken Glass Ceilings
Die Bedeutung der US-Wahlen für Frauen und queere Menschen
von Janna Uhry-Ganz, Projektkoordinatorin Auswärtiges Amt
Die USA haben gewählt: Am fünften November 2024 wurden alle Abgeordnete des Repräsentantenhauses sowie etwa ein Drittel des Senats neu bestimmt, außerdem wurde über etliche weitere Posten und Initiativen in den einzelnen Bundesstaaten abgestimmt. Für viele stand jedoch die Präsidentschaftswahl klar im Fokus des Wahltages.
Wie hat Gender die Wahl geprägt?
Im Kampf um die Präsidentschaft war Vizepräsidentin Kamala Harris die zweite Frau, die erste Schwarze und die erste Südasiatin, die als Kandidatin einer der beiden großen Parteien aufgestellt wurde. Anders als Hillary Clinton 2016 stellte Harris in ihrer Kampagne ihre eigene Identität in Bezug auf ihr Geschlecht nicht in den Vordergrund. Ein Eckpfeiler ihres Wahlkampfs, für den ihr nur 107 Tage blieben, war das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche und somit auch das Recht auf die körperliche Selbstbestimmung von Frauen.
Harris‘ Gegenkandidat Donald Trump betonte im Wahlkampf vor allem die Wirtschaft und kündigte an, Grenzen schließen zu lassen sowie Massendeportationen anzuordnen. Er inszenierte sich dabei gezielt maskulin und setzte auf eine populistische Rhetorik. Mit Auftritten in Podcasts deren Zielgruppe vor allem junge Männer sind, wie etwa „The Joe Rogan Experience“, erreichte Trump diese mit der Botschaft: „Ich sehe euch, ihr seid mir wichtig, wohingegen die andere Seite euch für toxisch hält”. Auch Frauen adressierte Trump mit einem fragwürdigen Versprechen bei einem Wahlauftritt in Wisconsin: „Ich werde euch beschützen, ob es euch gefällt oder nicht.”
Beide Parteien erhofften sich mit der gezielten Ansprache von Frauen (Kamala Harris) beziehungsweise Männern (Donald Trump) einen Vorteil durch einen großen Gender Gap. Die Nachwahlbefragungen zeigen jedoch, dass weder Männer noch Frauen in einer wahlentscheidenden Mehrzahl für Harris beziehungsweise Trump gestimmt haben. Laut den Exit Polls haben Frauen zwar mehrheitlich Kamala Harris unterstützt, allerdings in deutlich kleineren Anteilen als Joe Biden 2020 oder Hillary Clinton 2016. Obwohl Frauen insgesamt traditionell eher Demokratisch wählen, wählen weiße Frauen in der Mehrzahl die Republikaner und stimmten auch bei dieser Wahl mehrheitlich für Trump. Harris stärkste Unterstützung kam von Schwarzen Frauen, die grundsätzlich zuverlässig die Demokratische Partei wählen. Trump profitierte von leichten Zugewinnen bei Männern und Frauen.
Laut Nachwahlbefragungen gaben historische 8% der amerikanischen Wähler*innen an, queer zu sein. Harris' Ergebnisse bei den queeren Wähler*innen waren besser als die aller anderen demokratischen Kandidat*innen in den letzten fünf Präsidentschaftswahlen. Trump hingegen überzeugte die LGBTQAI+-Community nicht, was angesichts seiner offenen Queerfeindlichkeit nicht überrascht.
Das Wahlergebnis: Erste Reaktionen
Im vergangenen Jahr traten verschiedene feministische (Online-)Trends in Erscheinung, die die Frustration vieler amerikanischer Frauen gegenüber einem patriarchalen System zum Ausdruck brachten. Bewegungen wie „boysober“ oder das Löschen von Dating-Apps bleiben jedoch aller Voraussicht nach Nischenthemen.
Im Laufe des sechsten Novembers stellte sich schnell heraus, dass Donald Trump Kamala Harris im Wahlkampf um das Präsidentenamt geschlagen hatte. Damit wird zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ein verurteilter Straftäter ins Weiße Haus einziehen, der unter anderem des sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen wurde. Dieser Präzedenzfall sendet ein klares Signal sowohl an Opfer als auch an Täter. Als sich herauskristallisierte, dass Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen werden würde, hat das Interesse am sogenannten 4B Movement in den USA stark zugenommen. 4B ist eine Abkürzung für die vier koreanischen Wörter bihon, bichulsan, biyeonae und bisekseu, die sich mit dem Verzicht auf Dating sowie Heirat mit Männern und dem Verzicht auf Sex sowie Kinderkriegen mit Männern übersetzen lassen. In der Woche nach der Wahl ging der Trend in den Sozialen Medien viral, wo junge Frauen sich kurzzeitig über die Bewegung informierten und sich mit ihr solidarisierten. Wie lange das Interesse an der Bewegung bestehen wird und ob virale Aufmerksamkeit mit Solidarität gleichzusetzen ist, ist fraglich.
Die wachsende Frustration junger Amerikanerinnen mit patriarchalen Strukturen und salonfähiger Misogynie ist nicht überraschend, denkt man beispielsweise an die sexistischen Parolen von Influencern wie dem Holocaustleugner und White Supremacist Nick Fuentes, dessen Aussage „Your body, my choice. Forever“ sich auf TikTok rasant verbreitete.
In den Wochen vor der Präsidentschaftswahl verschärfte Donald Trump überdies seine Angriffe auf eine Gruppe von Menschen, die schätzungsweise weniger als 1 % der US-Bevölkerung ausmacht und in den letzten Jahren großer Diskriminierung ausgesetzt war: Zusammen mit konservativen Gruppen investierte seine Kampagne mehr als 21 Millionen Dollar in Fernsehspots, die die trans Community angreifen. Bei Wahlkampfveranstaltungen und Medienauftritten kündigte Trump zudem an, trans Sportler*innen von Wettkämpfen auszuschließen und behauptete fälschlicherweise, dass sich Kinder in der Schule Operationen zur Geschlechtsumwandlung unterziehen. Kurz nach dem Wahlsieg Trumps nahm die Inanspruchnahme von Krisenhotlines für queere Jugendliche in den USA dramatisch zu.
Progress vs. Backlash
Ein Blick auf die Kongresswahlen zeigt vereinzelte Erfolge für Frauen und queere Menschen in den USA. Die Bundesstaaten Maryland und Delaware haben Angela Alsobrooks beziehungsweise Lisa Blunt Rochester in den US-Senat gewählt. Damit sitzen zum ersten Mal in der 235-jährigen Geschichte des Senats zwei Schwarze Frauen gleichzeitig im Senat. Die Demokratin Sarah McBride aus Delaware schrieb Geschichte, indem sie als erste offene trans Person in den Kongress gewählt wurde während Texas als erster US-Südstaat überhaupt die offen queere Julie Johnson in den Kongress schickte. Wähler*innen in sieben Bundesstaaten haben außerdem für Maßnahmen zum Schutz des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche gestimmt, nachdem Trump mit der Ernennung konservativer Supreme Court-Richter*innen für die notwendige Mehrheit gesorgt hatte, um das Abtreibungsrecht auf Bundesebene zu kippen.
Diese Erfolge werden jedoch überschattet von den Rückschlägen für Frauen und queere Menschen, die mit Trumps Wahlsieg und dessen Ernennung kontroverser Personen für hohe Ämter in seiner Administration einhergehen. Mehrere von Trump nominierte Kabinettsmitglieder sehen sich mit ernstzunehmenden Vorwürfen des sexuellen Fehlverhaltens konfrontiert. Die Anschuldigungen reichen dabei von Sex mit Minderjährigen über Vergewaltigung bis hin zu Menschenhandel. Die Nominierungen normalisieren und bagatellisieren strafrechtlich relevante Übergriffe. Sie suggerieren nicht nur Frauen und Mädchen, dass ihre Unversehrtheit und Selbstbestimmung in der kommenden Administration keinerlei Priorität haben werden, sondern bestätigen und perpetuieren patriarchale Machtstrukturen. Sie unterstützen außerdem die von der Journalistin Susan Faludi geprägte Theorie, dass auf Fortschritt im Sinne von Gleichberechtigung und dem Schutz von Minderheiten unweigerlich ein Rückschlag folgt.
A Golden Age of Protest 2.0?
2016 erhielt Trump fast drei Millionen weniger Stimmen als Hillary Clinton und verlor trotz Wahlsieg die Popular Vote. Diese Diskrepanz sowie die Rhetorik und politischen Inhalte Trumps trieben in den ersten 15 Monaten seiner Amtszeit mehr Demonstrant*innen auf die Straße als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte der USA. 2024 hat Trump nicht nur die Mehrheit der Stimmen im Electoral College erhalten, sondern nach aktuellem Stand der Auszählungen auch die Popular Vote. Obwohl sein Stimmenvorsprung aktuell weiter schrumpft, bleibt Trump der erste republikanische Kandidat seit 1988, der die Mehrzahl der Wähler*innenstimmen bekam. Zwar gab es nach Trumps Wahlsieg vereinzelte Demonstrationen in den USA und in Europa, jedoch kommen diese bisher nicht ansatzweise an das Aufgebot an Protest nach der US-Wahl 2016 heran und eine große Demonstrationswelle ist nicht zu erwarten.
Unter denjenigen, die in der Vergangenheit protestierten und mobilisierten scheint sich ein politischer Burnout einzustellen. Der legitime Wahlsieg Trumps und die vielen Amerikaner*innen, die ihn – trotz aller Fehltritte und Verurteilungen – erneut zum Präsidenten gewählt haben, lösen bei vielen Aktivist*innen Resignation und Erschöpfung aus. Unter dem Motto „get someone else to do it“ erklärten in den vergangenen Wochen vor allem Schwarze Frauen auf Social Media, nicht mehr bereit zu sein, ihre Zeit und Energie in Proteste zu investieren.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die US-amerikanische Zivilgesellschaft vom kollektiven politischen Burnout bald erholt und erneut kritisch die Präsidentschaft Donald Trumps begleitet. Ob Harris‘ Wahlniederlage und der große Zuspruch für Trump aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten auf eine inhärent frauen- und queerfeindliche US-Gesellschaft schließen lässt, bleibt zu erörtern. Klar ist, dass die Aussicht auf eine zweite Amtszeit Trumps ein klares Signal an Frauen und queere Menschen sendet: Trumps Sieg ist nicht nur ein Symptom eines globalen Trends nach rechts, er legitimiert und stärkt unweigerlich die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten.