Mein Au-Pair Auslandsjahr

Christina von Jasienicki 

(Namen in dem Bericht auf Grund von Persönlichkeitsrechten geändert)

Aufbruch aus Deutschland

Als ich 2017 mein Abitur in der Tasche hatte, wollte ich aus meinem „langweiligen“ Alltag in Deutschland ausbrechen und die Welt bereisen! Die USA schien für mich ein besonderes Ziel, sei es, wegen den großen Metropolen oder den Hollywood Stars. Mit 18 hatte ich einen recht naiven Blick auf das Land. Ich dachte ganz Amerika sei eine große Metropole und dass sich das amerikanische Leben nicht allzu sehr vom deutschen Leben unterscheiden würde, schließlich ist alles „die westliche Welt“. Für einen längeren Aufenthalt kam nur ein Au-Pair Jahr in Frage, was sich für mich anbot, da ich schon immer gerne mit Kindern gearbeitet habe. Als mein Profil auf dem Au-Pair Portal meiner Organisation freigeschaltet war­, dauerte es nur zwei Wochen bis ich eine Familie gefunden hatte. Kandidat*innen haben ein eigenes Profil in einem Au-Pair Portal, in dem die Vermittlung zwischen Au-Pairs und Gastfamilien stattfindet. Das Au-Pair kann immer nur von zwei Familien gleichzeitig angefragt werden, kann aber selbst keine Familien anfragen. Die Familie hat die Möglichkeit Au-Pairs nach Fähigkeiten, Erfahrungen, Herkunft etc. nach zu filtern und anzufragen.

Viele hielten mich für verrückt als ich erklärte, dass es eine Familie mit fünf Kindern war, die mich angefragt hatte! Doch die Kinder der 7-köpfigen Familie aus Michigan, die in ihren schicken Kleidchen und Hemden frech in die Kamera grinsten, hatten es mir angetan. Sherry, die Gastmutter hatte mir viel über sie erzählt. Sie waren zwischen sieben und fünfzehn Jahre alt und hatten viele Hobbys, wie z.B. Baseball, Football, Pfadfindern, Musikinstrumente etc. Sherry erzählte mir außerdem, dass der 12-Jährige Christoph gegen jegliche Arten von Hülsenfrüchten und Eiern allergisch war und der 10-Jährige Connor Anxiety Probleme hatte, weshalb er eine Therapeutin besuchte. Während meiner Zeit in den USA ist mir aufgefallen, dass viele Menschen Allergien gegen Nüsse haben, auch dass Kinder öfters Therapeut*innen besuchten. Ich ließ mich davon wenig beeindrucken, denn ich war glücklich eine nette Familie gefunden zu haben, die mich mochte!

Im Dezember 2017 ging die Reise los. Ich war keineswegs nervös oder traurig meine Liebsten zurück zu lassen, da ich voller Vorfreude und Abenteuerlust war. Nach einem dreitägigen Besuch einer Trainingsschool in New York, bei dem ich zahlreiche internationale Au-Pairs kennenlernte, ging es für mich nach Michigan. Was mir zuerst auffiel, als die Familie mich abends nach Hause fuhr, waren die in allen Farben leuchtenden Vorgärten, die passend zur Weihnachtzeit dekoriert waren. Kurz nach meiner Ankunft fing es an zu schneien, so dass die Umgebung bald einem Winter Wonderland glich! Noch nie hatte ich so einen eisigen Winter erlebt wie in Michigan. Manchmal fiel auf Grund der Schneestürme sogar die Schule aus!

Die erste Familie

Sherry war eine „Stay at home mom“, während Ethan in einer Autozulieferer-Firma tätig war. Als die Kinder in der Schule waren, zeigte sie mir die Gegend. Ich war fasziniert von den großen Häusern, den breiten Straßen und den baumelnden gelben Ampeln, die über den Straßen hingen. Doch besonders die Malls und Einkaufsanlagen, mit ihrem riesigen Angebot waren überwältigend! Hier drehte sich alles um Konsum. Sherry zeigte mir zahlreiche Coupon-Apps, mit denen man Schnäppchen jagen konnte. Die Kinder wurden regelmäßig mit Kleidung und neuen Spielsachen beschenkt und auch ich kam in der Familie nicht zu kurz, z.B. bekam ich von der Familie einen Jeep und ein Handy gestellt.

Ich musste wöchentlich 45 Stunden für 195$ „Taschengeld“ arbeiten, dabei übernahm die Familie Kost und Logis. Sherry schien sehr streng zu sein. Viele der vergangenen Au-Pairs hatte sie gefeuert und ins „Rematch“ (so wird die zweiwöchige Phase des Familienwechsels genannt) geschickt, da sie den Anforderungen der Familie nicht gerecht geworden sind. Morgens musste ich das Frühstück vorbereiten, die Kinder rechtzeitig aus dem Haus bringen, anschließend die Küche putzen, die Kinderzimmer herrichten, den Spielekeller aufräumen, Wäsche waschen etc. Nachmittags nachdem die Kinder nach Hause kamen, achtete ich darauf, dass sie ihre Hausaufgaben machten, fuhr sie zu Freizeitaktivitäten und spielte ggf. mit ihnen. Letzteres kam eher seltener vor, denn die Kinder verstanden es gut sich an elektronischen Geräten selbst zu beschäftigen. Insgesamt waren sie sehr unselbstständig, da sie es gewohnt waren, dass ein Au-Pair alles für sie machte. Mit den Älteren baute ich kaum eine Beziehung auf, während ich die Jüngeren schnell liebgewann, obwohl sie eine große Herausforderung für mich waren aufgrund von Verschlossenheit und Wutausbrüchen. Doch die größten Sorgen bereitete mir Sherry, eine Perfektionistin, die immer zur Stelle war, um meine Arbeit im Haushalt und mit den Kindern (auch vor den Kindern) zu kritisieren und der ich nie gerecht zu werden schien. Ich führte mit Sherry und mit meiner „Areadirektorin“ (ein*e Ansprech-partner*in, zu dem*der sich Au-Pairs und Familien bei Problemen wenden können) regelmäßig Gespräche und versuchte mich zu verbessern, doch es funktionierte nicht. Ich begann mich einsam und unglücklich zu fühlen. Schon seit Beginn meiner Ankunft spielte ich mit dem Gedanken die Familie zu wechseln, doch ich wollte sie nicht im Stich lassen. Auch außerhalb der Arbeit fand ich kaum Ausgleich: Es gab nur wenige Au-Pairs in Michigan mit denen ich mich treffen konnte und außer Malls und Coffeeshops gab es nicht viel Reizvolles in meinem Vorort.

Ich beschloss mein Glück selbst in die Hand zu nehmen und plante eine Reise nach New York und Boston. Diese kleine Auszeit aus dem stressigen Familienalltag tat wirklich gut. Ich merkte wie anders und wie viel erstrebenswerter das Au-Pair Leben in den Großstädten war. In Bosten und New York gab es viel mehr zu erleben und noch viel wichtiger gab es viel mehr Au-Pairs, mit denen man etwas unternehmen konnte. Ich begann zu hinterfragen, ob mein Leben im Michigan es wirklich wert war.

Nachdem mich mein Gastvater einen Monat später im Urlaub vor der ganzen Familie anschrie, weil er mir die Schuld am Sonnenbrand der 16 Jährigen gab, stand mein Entschluss fest, dass ich die Familie verlassen musste. Als ich Sherry meine Entscheidung mitteilte, schien auch sie erleichtert. Die Zeit des „Rematches“ war die härteste im ganzen Jahr. Ich fühlte mich in dem Haus nicht mehr willkommen und musste weiterhin arbeiten, während ich gleichzeitig nicht wusste wo ich nach Ende der zwei Wochen verbleiben würde. Denn wenn man in zwei Wochen keine neue Familie findet muss man zurück nach Hause fliegen und ich war nach meinen fünf Monaten noch nicht bereit dafür, da ich noch nicht die gewünschte Erfahrung gesammelt hatte. Ich verließ mein Zimmer nur noch zum Arbeiten, um mir etwas zu essen zu holen oder mich draußen mit Freunden zu treffen und mied jeden Kontakt mit der Familie, der über das Nötigste hinaus ging.

Ein neuer Anfang 

Mit meiner neuen Gastmutter war ich direkt auf einer Wellenlänge. Suna und ihr Mann Rajam waren vor vielen Jahren aus Indien nach Kalifornien in die Bay Area von San Franzisco gezogen. Sie hatten zwei Söhne: Arian (8 Jahre alt) und Ajay (7 Jahre alt). Ajay hatte eine geistige Behinderung, die bedingte, dass er nicht sprechen konnte und seine motorischen und kognitiven Fähigkeiten nicht altersgemäß ausgebildet waren. Die Familie lebte vegetarisch, was mir gelegen kam, denn in meiner vorherigen Familie hatte ich fast jeden Tag Fleisch kochen müssen. Als ich nach Kalifornien zog machte mein Leben eine absolute Kehrtwende. Die Familie machte mit mir Ausflüge und nahm mich herzlich auf. Neben der Hausarbeit gab es in meinem neuen Job viel Zeit, um mit den Kindern zu spielen. Ich verstand mich mit beiden Jungs super und Suna lobte mich für meine Arbeit. Für mich war es vor allem eine besondere Erfahrung mit einem behinderten Kind zu arbeiten, denn jeder kleine Fortschritt, den er machte, fühlte sich an wie ein Meilenstein! Doch auch in diesem Job gab es Probleme, wie (auf Grund des kleinen Hauses) zu wenig Privatsphäre, eine Ausgangssperre nach 22 Uhr, wenn ich am nächsten Tag arbeitete und dass die Familie versuchte an mir Geld zu sparen. So wurde zum Beispiel irgendwann mein Essen teilweise rationiert. Aber solche Dinge waren für mich im Vergleich zu dem was ich vorher erlebt hatte Kleinigkeiten, denn das Leben war insgesamt so viel besser! Die Bay Area hatte viel für Au-Pairs zu bieten. Es gab zahlreiche online Au-Pair Gruppen, über die man sich vernetzten konnte. Meine verbleibenden sieben Monate nutze ich vor allem für Roadtrips. Es ging nach Las Vegas, zum Grand Canyon, nach Death Valley, entlang den Highway 1 nach Los Angelos, hoch in die Berge des Yosemite National Parks und in die tiefste Wüste von Utah. Die Naturwunder waren unglaublich! Kalifornien allein bot Strand, Wald mit riesigen Bäumen, Berge und Wüste. Auf meinen Reisen lernte ich zahlreiche interessante Menschen kennen. Ich schloss mein Abenteuer mit einer zweiwöchigen Reise nach Hawaii ab. Dort wanderte ich durch die tropischen Wälder, hoch zu Vulkanen und lernte durch Couchsurfing die „Locals“ kennen. Am Ende war ich sehr dankbar für alle meine Erlebnisse, die guten sowie auch die schlechten, da letztere mich als Person stärker gemacht haben.

Das Rematch - keine Seltenheit 

Die meisten der Au-Pairs, mit denen ich geredet habe, waren mindestens einmal im Rematch. Ich hörte von vielen verschiedenen Extremsituationen, in denen Au-Pairs von ihren Gastfamilien psychisch unter Druck gesetzt, beleidigt oder ausgebeutet wurden. Viele Familien sehen Au-Pairs als günstige Arbeitskraft, und vergessen dabei, dass es sich um junge Menschen handelt, die ganz allein in eine fremde Kultur kommen. Was ich am Au-Pair Programm am problematischsten finde, ist dass man im Haus seiner Arbeitgeber*innen lebt. Dadurch ist man kontinuierlich mit seiner Arbeit auseinandergesetzt und findet nur eine Auszeit, wenn man das Haus verlässt. 2019 gewannen 10.000 Au-Pairs eine Sammelklage gegen die Organisationen, mit dem Vorwurf von zu schlechten Arbeitsbedingungen, zu wenig Arbeitnehmerschutz und Niedriglohn. Das Programm wird als kultureller Austausch dargestellt, bei dem Au-Pairs gegen Taschengeld etwas Kinderbetreuung übernehmen und dabei das amerikanische Leben kennenlernen. Dass es sich dabei meist um einen Vollzeitjob handelt ist vielen nicht klar. Es gibt natürlich auch andere Beispiele, bei denen Au-Pairs von ihren Gastfamilien sehr gut aufgenommen werden, doch die sind nach meiner Erfahrung leider in der Minderheit.