Die ersten 100 Tage einer Präsidentschaft werden oft und gerne zum Anlass genommen, eine vorläufige Bewertung der Erfolge und Misserfolge der neuen Administration vorzunehmen. Traditionell liegt der Fokus auf legislativen Entwicklungen und politischen Inhalten: Welche Gesetze wurden verabschiedet? Welche Versprechen aus dem Wahlkampf eingelöst? Im Falle der Präsidentschaft von Donald Trump wäre es jedoch fatal, diese traditionelle Analysebrille zu verwenden, vielmehr muss man sich die Frage stellen, wie es der amerikanischen Demokratie und dem politischen System allgemein ergeht nach 100 Tagen Donald Trump im Weißen Haus. Die Politologin Nicole Hemmer bringt es auf den Punkt und mahnt: „The story here is *not* how active the Trump administration’s been—it’s the unprecedented and unconstitutional consolidation of power.” Der rapide und scheinbar unaufhaltsame Marsch der USA in ein autoritäres System und die damit verbundene beispiellose und verfassungswidrige Konsolidierung von Macht im Präsidentenamt sollten somit der zentrale Maßstab der kommenden Analysen sein, nicht die Normalisierung eben dieser Prozesse.
Der permanente Notstand
Was kennzeichnet also die ersten Monate? Ein durchgehender Notstand, ein „national emergency“, in unterschiedlichen Politikfeldern bildet die Basis für die Machtkonsolidierung. Präsident Trump beruft sich gerne und beliebig auf einen Notstand, erlaubt ihm dies doch einen größeren Handlungsspielraum für die Umsetzung politischer Inhalte (siehe National Emergencies Act). So deklarierte er einen Notstand an der Südgrenze, einen Energienotstand, einen Notstand in Bezug auf die wirtschaftliche Lage und unterschrieb weitere Exekutivanordnungen für die Nord- und Südgrenze der USA. Durch diese Taktik verschiebt sich auch die Wahrnehmung der Menschen, denn ein Notstand suggeriert die Notwendigkeit von Mitteln und Handlungen, die außergewöhnlich aber eben notwendig zu sein scheinen zum Schutz der Nation. Der rechtliche Spielraum erweitert sich, die Rhetorik verschärft sich und der eigentliche Norm- und Rechtsbruch wird zu einer Fußnote. Der Politikwissenschaftler Seth Masket ergänzt: „And not only did Trump claim emergency powers in situations where there was no emergency, but he has created emergencies.” Erfundene und selbst herbeigeführte Notstände existieren somit, die eigentlich eine effektive Antwort der Regierung fordern – schwierig, wenn im gleichen Moment durch Kürzungen und Entlassungen eben diese Fähigkeiten beschnitten werden. Zusammenfassend lässt sich schon jetzt attestieren: „In his first 100 days, President Trump has declared more national emergencies — more creatively and more aggressively — than any president in modern American history.” Die Machtkonsolidierung der Exekutive wird durch Notstände begründet und gleichzeitig flankiert durch die Nutzung alter Gesetze, z.B. den Alien Enemies Act (1798), die den Machtspielraum deutlich erweitern.
Begleitet wird der permanente Notstand von einer performativen Dominanz, ein Schauspiel von (männlicher) Stärke gegenüber allen Personen und Gruppen, die Kritik üben, als schwach eingeschätzt werden, als überflüssig oder gar als bedrohlich eingestuft werden. Diese Verkörperung von Stärke und Dominanz ist oft rein performativ und wird als solche schnell sichtbar, insbesondere wenn die russischen und chinesischen Staatschefs in Fragen von Krieg und Handel nicht sofort auf die Linie des Weißen Hauses einschwenken. Wenn sich also weder ein sofortiger Waffenstillstand in der Ukraine manifestiert oder im Endeffekt doch bestimmte chinesische Produkte von den Tarifbestimmungen ausgenommen werden, zeigt sich die oft übertünchte Macht- und Orientierungslosigkeit der Regierung. Mit dem Konzept von Stärke und Schwäche wird bewusst kokettiert und gespielt, wenn beispielsweise eine eigene Schwäche suggeriert wird, um die eigentliche Macht zu verschleiern. So sei man hilflos, was die Inhaftierung von Menschen aus den USA in El Salvador betrifft – obwohl man diese auf Basis eines Abkommens mit dem Land selbst verantwortet. So sei die Regierung so schwach, dass schon alleine der Protest oder die verbale Kritik von Studierenden gegenüber der amerikanischen Nahostpolitik eben diese gefährde und die Konsequenz somit eine Abschiebung von ausländischen Studierenden sein müsse, folgt man der Logik von Außenminister Rubio. Unerbittliche Dominanz zeigt man innerhalb des Systems somit in erster Linie gegenüber schwächeren und marginalisierten Gruppen, sei es die Transgender-Community oder Menschen mit bestimmten Aufenthaltstiteln.
Angriff auf das Rechtssystem
Die permanent beschworene Notlage und das Gebaren von Dominanz münden nahezu zwangsläufig in einem Angriff auf das Rechtssystem und dem Verursachen einer Verfassungskrise. In seiner Entscheidung vom 16. April 2025 attestiert Richter James Boasberg der Trump-Regierung „a wilful disregard for its Order, sufficient for the Court to conclude that probable cause exists to find the Government in criminal contempt." Richter Boasberg bezieht sich auf die Weigerung der Regierung, der einstweiligen richterlichen Verfügung zu folgen die Boasberg im Zuge der Deportationen nach El Salvador erlassen hatte. Der Richter klagt an, dass die Abschiebungen ohne Beachtung des „due process“ stattfanden und -finden, also ohne die Möglichkeit für betroffene Personen, von möglichen Deportationsverfahren rechtzeitig zu erfahren und diese dann innerhalb des Rechtssystems anfechten zu können. Zeitgleich weigert sich die Regierung, die Rückführung von Kilmar Abrego García, ein Mann aus Maryland der fälschlicherweise nach El Salvador abgeschoben, bzw. verschleppt, wurde, zu ermöglichen und fördern – trotz klarer richterlicher Vorgaben. Das Weiße Haus verweist auf die exekutiven Vorrechte in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik und zeigt sich bisher von jeglicher Kritik oder richterlicher Anordnung unbeeindruckt. Richter Boasberg hält eindrücklich fest: „to permit such officials to freely ‘annul the judgments of the courts of the United States’ would not just ‘destroy the rights acquired under those judgments’; it would make ‘a solemn mockery’ of ‘the constitution itself.” Der Vize-Präsident positioniert sich in den sozialen Medien mit einer ganz eigenen willkürlichen Auslegung von „due process“ und „habeas corpus“. Laut JD Vance fehlt es an Personal, Zeit und Finanzkraft um allen von Abschiebung betroffenen Personen ein eigenes Verfahren zu ermöglichen. Doch wie Timothy Snyder klarstellt: „There are no procedures between the movement of mouths and the movement of bodies. If members of the executive branch are allowed to issue truth claims that have the consequence that human beings leave the United States, we are in a dictatorship. If we accept that the executive branch can simply deport anyone they call a "foreign alien terrorist," then none of us has any rights.”
Der Angriff auf die Judikative beschränkt sich nicht nur auf die Aushöhlung der richterlichen Legitimität, sondern auch auf einen elementaren Bestandteil des Justizsystems: Anwaltskanzleien. Exekutivanordnungen häufen sich, die sich spezifisch auf ausgewählte Anwaltskanzleien beziehen, die der Regierung aufgrund ihrer vorherigen Arbeit suspekt sind und diese nun unter Druck setzen. Einige große Kanzleien haben sich mittlerweile schon mit der Regierung arrangiert um mögliche Repressalien (Verlust von Zugang zu Regierungsgebäuden und -informationen, Verlust von möglichen Klienten) zu vermeiden. Doch dadurch entstehen viel umfassendere Problemlagen: Interessenkonflikte, Bestechung, und vor allem die Bedrohung der Unabhängigkeit der Justiz. So fasst die Juristin Joyce Vance zusammen: „The judicial branch can’t do its job of checking the other two branches of government without lawyers to bring cases before it […] The independence of the judiciary depends upon the independence of the lawyers who appear in front of it. Trump’s executive orders are an effort to damage, if not destroy, it.”
Ein anderes Wort für dieses Vorgehen wäre übrigens Erpressung. Ein kritisches Merkmal von Erpressung ist die Tatsache, dass selbst ein Einschwenken oder eine Akzeptanz der Erpressung keine Erleichterung bringt, sondern vielmehr die Gegenüber zu weiteren Forderungen ermutigt. So sehen sich die Anwaltskanzleien schon jetzt mit genau dieser Lage konfrontiert: Neben den ursprünglich vereinbarten pro bono Stunden für bestimmte Anliegen (die zu Beginn als unkontrovers eingestuft wurden) geht es jetzt auch um die mögliche Vertretung der Regierung in Handelsfragen, in Verbindung mit DOGE oder sogar um die Verteidigung von Trump und Kolleg*innen ganz konkret. „White House officials believe that some of the pro bono legal work could even be used toward representing Mr. Trump or his allies if they became ensnared in investigations”, berichtet die New York Times.
Die Nutzung von Druck und Erpressung zeigt sich auch im Umgang der Regierung mit einzelnen Bundesstaaten, der Angriff auf den Föderalismus ist in vollem Gange. So fordert die Trump-Regierung den Staat Maine auf, transgender Mädchen an öffentlichen Schulen von der Beteiligung an weiblichen Sportgruppen auszuschließen. Die Demokratische Gouverneurin Janet Mills beruft sich auf ein Gesetz ihres Staates, welches Diskriminierung aufgrund von gender identity verbietet und erklärt, die Forderung der Regierung würde geltendes Recht brechen und könne somit nicht umgesetzt werden. Als Reaktion droht die Regierung mit Untersuchungen und dem Ende von Finanzzahlungen für alle öffentlichen Schulen in Maine, sollte sich der Staat nicht fügen. Tom Homan, Grenzbeauftragter der Regierung, geht einen Schritt weiter und droht Angestellten und Vertreter*innen von Bundesstaaten oder Städten gleich mit juristischer Verfolgung aufgrund von Gesetzen, die für ihn im Widerspruch zu Anordnungen der Regierung stehen.
Für diese Art von Regierungshandlungen durch Einschüchterung und Drohung lassen sich unzählige Beispiele finden. Der mögliche Entzug der Steuerbefreiung für die Harvard University dominiert aktuell die Nachrichten. Diese Politisierung und Nutzung von Institutionen und politischen Mitteln als Angriffsinstrument (weaponization) um gegen die als Feinde im Inneren identifizierten Personen und Institutionen vorzugehen ist schlicht autoritär und diktatorisch. Die faschistisch-ideologische Untermauerung dieser Entwicklungen beschreiben Prof. Christian Lammert zudem hier und Annika Brockschmidt hier.
Der Ausverkauf der USA
Die Handlungsweise der Regierung erinnert teils an mafiöse Vorgehensweisen, es gibt keinen Endpunkt, kein finales Übereinkommen mit der Regierung, keinen magischen Deal der Ruhe einkehren lässt, sondern lediglich die Forderung nach weiteren Zugeständnissen in immer dubioseren oder gar rechtswidrigen Kontexten. Ergänzt wird dies durch eine Art der Korruption, die so offensichtlich ist, dass sie kaum noch Erwähnung findet in der Berichterstattung oder Diskussion.
Während die Märkte taumeln, unschuldige Menschen ohne Prozess oder Anhörung in ein Gefängnis in ein fremdes Land deportiert werden und der reichste Mann der Welt damit beschäftigt ist, Regierungsprogramme und den Sozialstaat zu entkernen, verbringt Donald Trump das Wochenende im April auf einem von Saudi Arabien unterstützen Golfturnier (weitere Sponsoren waren die saudische Ölfirma Aramco, Riyadh Air und auch TikTok). Vor dem Weißen Haus werden Teslas angepriesen, der Präsident nimmt die sinkenden Aktienkurse von Tesla zum Anlass für einen persönlichen Werbeauftritt. Die Securities und Exchange Commission setzt sich momentan dafür ein, ein Verfahren gegen Justin Chu, ein chinesischer Akteur der Kryptoszene, zu pausieren. Chu gab kürzlich bekannt, 75 Millionen US-Dollar in ein Kryptoprojekt mit Verbindungen zur Trump-Familie investiert zu haben. All dies, während die Federal Emergency Management Agency den von Hurricane Helene verwüsteten Gebieten in North Carolina weitere Finanzhilfen streicht.
Der Interessenskonflikt von Elon Musk, der dramatischen Einfluss auf genau die Behörden nimmt, die seine Unternehmen regulieren und mit denen seine Unternehmen lukrative Verträge abgeschlossen haben, ist oft nur noch eine Randnotiz in der Berichterstattung da auch hier keine Aufarbeitung innerhalb des Systems erfolgt. Der Demokratische Senator Chris Murphy (CT) versucht sich zumindest an einer Aufarbeitung und musste schon für die ersten sechs Wochen der Administration eine umfangreiche Übersicht erstellen, die sich mit Meme Coins, der Deregulierung von Behörden, der Vergabe von Aufträgen und der Rolle des Justizministeriums befasste. Senator Murphy verknüpfte seine Berichterstattung mit der Warnung: “Democracies die when the very powerful people steal from us so regularly, so openly, so unapologetically, that we come to believe that it's normal."
100 Tage Angriff
Im Januar 2022 schrieb der Historiker Thomas Zimmer in einem Beitrag für den Guardian: „Without effective federal legislation to protect and reform democracy, the country will rapidly turn into a dysfunctional pseudo-democratic system at the national level – and on the state level will be divided into democracy in one half of the states, and authoritarian one-party rule in the other. As a whole, America would cease to be a democracy.” Im März 2025 widmete er sich den Entwicklungen in den USA in einem langen Beitrag auf Democracy Americana und stellt nüchtern fest: „Competitive authoritarianism is no longer just a possibility. Not even two months into the Trumpist regime, we are already there.”
Die Ausrufung eines Notstands in beliebigen Politikfeldern, Erpressung als politisches Mittel der Macht, ein Angriff auf die Judikative und eine gewollt herbeigeführte Verfassungskrise. Das Fazit nach den ersten 100 Tagen? Das Weiße Haus erkennt scheinbar keine andere Machtinstanz als sich selbst, weder die Gerichte, noch die Bundesstaaten, noch den Kongress. Die Missachtung des Rechtsstaats, die Erpressung und Bedrohung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, das Verschwinden von Menschen in ausländische Gefängnisse oder in amerikanische Haftanstalten sind Fakten, die sich nach 100 Tagen für die USA attestieren lassen und deutlich zeigen, dass der Autoritarismus zum Tagesgeschäft geworden ist. Es mag für manche Beobachter*innen oder gestandene Transatlantiker*innen unfassbar klingen, doch ist eine Benennung der Tatsachen unabdingbar, um daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen, sei es für die USA, die deutsche Innenpolitik oder die transatlantischen Beziehungen.