Sarah Wagner, M.A. (Stand: 9. November, 18.00 Uhr)
In vielen Staaten wird noch fleißig gezählt und weder im Repräsentantenhaus noch im Senat herrschen zum aktuellen Zeitpunkt (9. November, 18.00 Uhr) eindeutige Mehrheitsverhältnisse, doch erste vorsichtige Schlüsse lassen sich bereits jetzt über die diesjährigen Zwischenwahlen in den USA ziehen. Während sich der Republikanische Senator aus Texas, Ted Cruz, noch einen „roten Tsunami“ erhoffte, also einen überwältigenden Sieg der Republikanischen Partei in beiden Kammern des Kongresses und in den vielen anderen Rennen, ist am Morgen nach der Wahl weder ein Tsunami noch eine Welle zu spüren – eher ein Plätschern. Werfen wir einen Blick auf einige interessante Aspekte, die uns in den nächsten Wochen beschäftigen werden:
Gegen den Trend: Enttäuschte Erwartungen der Republikaner
Im historischen Durschnitt verliert die Partei des Präsidenten rund 28 Sitze in den Zwischenwahlen; es können auch schon einmal 63 Sitze sein, wie Barack Obama 2010 schmerzlich erfahren musste. Viele Amerikaner*innen sehen die Wahlen als Korrektiv an, ein deutlicher Machtverlust im Kongress wäre also nicht überraschend gewesen für die Demokraten. Zudem waren und sind die Umfragewerte von Joe Biden seit Monaten schlecht, er kommt im Durchschnitt kaum über 42% Zustimmung hinaus. Die immer noch hohe Inflation ist ein enormes Problem für viele Amerikaner*innen, die zudem immer weniger optimistisch in die Zukunft ihres Landes schauen. Unter diesen Voraussetzungen erwarteten die Republikaner einen Zugewinn von mindestens 20 Sitzen, um dadurch komfortabel die Mehrheit (218 Sitze) im Repräsentantenhaus zu stellen. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Zwar ist es wahrscheinlich, dass es im Repräsentantenhaus zu einem Machtwechsel kommt, allerdings wird sich die Republikanische Partei nicht auf ihrer wohl eher dünnen Mehrheit ausruhen können. Und dann wird es auch für die Republikanische Partei anstrengend, die unterschiedlichen Faktionen der Partei zu befrieden – der wohl neue Speaker, Kevin McCarthy, hat aller Voraussicht nach einen undankbaren Job vor sich. Historisch gesehen haben Joe Biden und seine Partei insgesamt also weitaus besser abgeschnitten als erwartet, die Republikaner haben unterdurchschnittlich geliefert: they underperformed.
Das Recht auf Abtreibung und die Demokratie: Demokrat*innen an der Urne
Die genauen Gründe für das unverhofft gute Abschneiden der Demokratischen Partei in moderaten und umkämpften Distrikten wie dem Wahlkreis von Abigail Spanberger (VA-7) oder Elissa Slotkin (MI-7) sind vielfältig und werden in den nächsten Wochen Thema vieler Berichterstattungen sein. Doch erste Trends zeigen, dass das Thema Abtreibung und hier die Sicherung des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch für die Demokratische Wählerbasis von hoher Bedeutung war. Das Thema wurde nicht nur in den Wahlkämpfen der Demokraten stark bespielt, sondern stand auch in einigen Staaten als Gesetzesinitiative auf dem Wahlzettel, so zum Beispiel in Michigan. Der Vorschlag, die Verfassung des Staates zu ergänzen und den Zugang zu Abtreibungen somit zu sichern, wurde von der Bevölkerung mit einer deutlichen Mehrheit von knapp 56% angenommen.
Die Wehrhaftigkeit der amerikanischen Demokratie war ebenso ein wichtiges Thema, welches sich die Demokraten und vor allem Joe Biden während des Wahlkampfs und mit Blick auf die Ereignisse vom 6. Januar 2021 und den Wahllügen vieler Republikanischer Kandidat*innen auf die Fahnen geschrieben hatten. Entscheidend waren für die Partei unter anderem die jüngsten Wähler *innen in der Gruppe der 18-29jährigen, Gen Z. Ersten Umfragen zufolge stimmte dieser Wählergruppe zu 63% für die Demokraten (Repräsentantenhaus), in einzelnen Senatsrennen lag der Wert sogar noch höher. Passend zu dieser Entwicklung wurde auch der erste Vertreter dieser Generation, der 25jährige Maxwell Frost aus Florida, in das Repräsentantenhaus gewählt.
Königsmacher oder Hofnarr? Die Wahlen und Donald Trump
Trump signalisierte kürzlich auf einer Wahlkampfveranstaltung, dass er nächste Woche eine große Ankündigung in Florida machen wolle. Man rechnet also damit, dass er hier seine Kandidatur für den Präsidentschaftswahlkampf 2024 verkündet. Trump will so auch innerparteilichen Herausforderern zuvorkommen, kann früh mit dem Kampagnenaufbau beginnen und sich vielleicht auch von laufenden Gerichtsverfahren etwas distanzieren und ablenken. Und dass er einen Blick auf mögliche Konkurrenten haben muss, zeigt sich am Beispiel von Florida. Im sogenannten Sunshine State haben die Republikaner die Demokraten deutlich deklassiert, der alte und neue Gouverneur Ron DeSantis, der bisher größte innerparteiliche Konkurrent von Donald Trump, fuhr ein traumhaftes Ergebnis für sich und die Partei ein und ist deutlich wiedergewählt worden. Somit hat sich der ambitionierte Gouverneur für 2024 in Stellung gebracht, zumindest aus Sicht vieler Republikaner. Denn im Gegensatz zu DeSantis waren viele der von Trump unterstützten Kandidat*innen in wichtigen Senatsrennen weniger erfolgreich. Am deutlichsten zeigte sich dies in Pennsylvania. Hier rechnete man eigentlich mit einem engen Rennen samt längerer Auszählung aufgrund der Briefwahl und bestimmten lokalen Vorschriften zur Auszählung. Doch dann ging alles ganz schnell und der Demokrat John Fetterman wurde zum Sieger erklärt. Die Trumpschen Kandidat*innen unterlagen auch in vielen anderen Rennen und es ist möglich, dass dies eine parteiinterne Diskussion anstoßen wird, die sich mit der Rolle und Zukunft von Donald Trump befasst. Schließlich sind dies schon die zweiten Zwischenwahlen, in denen der ehemalige Präsident mit Niederlagen kämpfen muss. Doch, auch das sollte nicht vergessen werden, auch wenn Donald Trump in der Wahlnacht gestrauchelt ist, sind die Energie und Spendengelder seiner Anhänger*innen wichtig für die Partei und lassen sich nicht so schnell und einfach austauschen.
Schutzwall für die Demokratie? Wichtige Rennen in den Einzelstaaten
Mit Sorge wurden in vielen Staaten die Wahlkämpfe für das Gouverneursamt oder das Amt eines Secretary of State (ähnlich einem Innenminister) beobachtet. Denn die Inhaber*innen dieser Posten haben auch einen entscheidenden Einfluss auf die Organisation und Durchführung der Wahlen in dem jeweiligen Bundesstaat. In wichtigen Staaten wie Arizona und Nevada liegen die Ergebnisse noch nicht vor, aber zumindest in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin konnten die Demokraten die Gouverneurswahl für sich entscheiden und Republikanische Kandidaten, welche die 2020er Wahl nicht anerkennen oder hinterfragen, sahen sich mit einer Niederlage konfrontiert. Auch in Michigan setzte sich Secretary of State Jocelyn Benson gegen die Republikanerin (und von Trump unterstützte) Kristina Karamo durch. Karamo war auch Mitglied der America First Secretary of State Coalition, ein Zusammenschluss von Kandidat*innen an Wahlleugnern mit dem Ziel, unter anderem restriktivere Wahlgesetze zu verabschieden.
Mit Spannung werden daher die Ergebnisse aus Arizona und Nevada erwartet, da hier Kandidaten für das Gouverneursamt (Kari Lake in Arizona) und den Secretary of State Posten (Jim Marchant in Nevada) angetreten sind, die eine konkrete Bedrohung für eine demokratische Wahl darstellen könnten. Laut ersten Berechnungen der New York Times haben bisher 210 Republikaner*innen, die die 2020er Wahl hinterfragen, ihr Rennen für den Kongress oder ein anderes politisches Amt in den diesjährigen Zwischenwahlen gewonnen. Die amerikanische Demokratie ist also noch längst nicht aus dem Schneider, kann aber mit Blick auf die nächsten Wahlen zumindest einmal kurz durchatmen.
All Too Well?
Hat sich somit alles zum Positiven gewandelt für die Demokraten und die Demokratie in den USA? Nein. Auch mit einer dünnen Mehrheit wird es in einem „divided government“ für Joe Biden schwierig sein, eigene politische Inhalte auf die Agenda zu setzen, geschweige denn diese durchzusetzen. Die Republikaner haben angekündigt, Untersuchungen zu diversen Themen (z.B. Afghanistan, die Verwendung der Gelder des American Rescue Plans) und Personen (möglicherweise Hunter Biden) einleiten zu wollen, die das Weiße Haus arbeitstechnisch einspannen werden. Biden hat also weniger Handlungsspielraum in der Innenpolitik und wird sich vermutlich mehr auf außenpolitische Entwicklungen fokussieren. Er müsste auch mehr mit „executive orders“, mit Erlassen, arbeiten – diese können aber schnell zurückgenommen werden und sind bei weitem nicht so nachhaltig wie Gesetze. Mit Spannung wird zudem erwartet, wie sich die Führungsriege der Demokraten im Haus aufstellen wird und ob Nancy Pelosi auch die nächsten zwei Jahre den Ton in ihrer Fraktion angeben wird. Viele Fragen sind also noch ungeklärt, aber es wird ja auch noch ausgezählt.