The Primaries Will Not Be Televised – Wahlkampf der Demokraten in der Corona-Krise

Sarah Wagner, M.A.

In Deutschland wie in den USA dominiert die Corona-Krise die mediale Berichterstattung und die zwischenmenschliche Diskussion, online wie offline. Wie ist das Krisenmanagement der Politiker*innen einzuschätzen? Was sind die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse? Welche neuen Regelungen gibt es für das Zusammenleben? Wie geht es den Freunden und der Familie?

In diesem Kontext Wahlkampf zu betreiben, ist auch für die gewieftesten politischen Profis eine Herausforderung. Diese Erfahrung machen gerade die Demokraten, deren Vorwahlkampf noch längst nicht beendet ist und die mit der medialen Überpräsenz von Präsident Trump konkurrieren müssen. Hier ein aktueller Zwischenbericht über den Stand des Wahlkampfs zu Zeiten von Covid-19.

Biden’s Basement

Wie schon in einem vorherigen Blog-Post erwähnt, kämpft Joe Biden mit der neuen Lage und den damit verbundenen Herausforderungen des Wahlkampfs. Die Stärken des Kandidaten liegen im persönlichen Kontakt, im Austausch mit den Wähler*innen und im direkten Gespräch – nicht in virtuellen Ansprachen aus dem eigenen Keller. Die Formate, die das Biden-Team aktuell präsentiert, sind da auch nicht vielversprechender. Nun gibt es einen eigenen Podcast („Here’s the Deal“), in dessen erster Folge es um, ganz genau, den Coronavirus und das Krisenmanagement der Trump-Administration geht. Ebenso gibt es einen neuen Newsletter, eine virtuelle „Happy Hour“ für jüngere Wähler*innen und Interviews bzw. Schalten in diverse TV-Shows. Es ist nicht verwunderlich, dass einige Formate noch etwas unausgereift wirken, bedenkt man auch, dass sie relativ kurzfristig aus dem Hut gezaubert werden müssen. Zudem hat sich auch das Kampagnenteam von Biden erst kürzlich erneuert und wird nun von Jennifer O’Malley Dillon, der ehemaligen Kampagnenleiterin von Beto O’Rourke, angeführt.

Doch auch mit neuen Formaten kann der ehemalige Vize-Präsident nicht annähernd mit seinen Demokratischen Kollegen, in erster Linie den Gouverneuren, geschweige denn mit Präsident Trump, konkurrieren. Während der Demokratische Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, im Minutentakt medial präsent scheint und versucht, seinen Staat durch die enorme Krise zu steuern, verblasst Biden neben ihm – die Bekleidung eines öffentlichen und sichtbaren Amtes ist in der Krise eben ein Plus. Auch das Profil von Gretchen Whitmer, Demokratische Gouverneurin in Michigan, wird durch die Krise geschärft. Hilfreich dabei war sicherlich, dass Trump sie - ohne sie namentlich zu nennen - zunächst als  „young, a woman governor“ von Michigan und später in einem Tweet als „Gretchen ‚Half‘ Whitmer“ bezeichnete; nun ist Whitmer auch außerhalb von Michigan ein weitaus geläufigerer Name als zuvor. Joe Biden dagegen musste sich damit begnügen, Trump via Brief zum Thema Coronavirus und der aktuellen Klage der Trump-Administration gegen Obamacare zu adressieren.  

In der desaströsen wirtschaftlichen Lage Spendengelder einzuwerben, ist ebenfalls ein sehr delikater Balanceakt. Nicht nur kleinere Spenden sind aufgrund der aktuellen Lage schwierig zu bekommen, auch größere Spender sind mehr mit der Rettung der eigenen Anlagen beschäftigt. Gleichzeitig jedoch kann Biden auf die Unterstützung von zwei größeren Super PACs zählen. Unite the Country und American Bridge haben sich auf eine Zusammenarbeit geeinigt.

Eine Chance für Biden, sich medial Gehör zu verschaffen, wird auch dadurch erschwert, dass sich der Kalender für die Vorwahlen so drastisch verändert hat. Immer mehr Staaten haben ihre Vorwahlen verlegt, mittlerweile hat sich der 2. Juni als neues wichtiges Datum etabliert. An diesem Termin werden aller Voraussicht nach mit 822 etwa ein Fünftel aller Delegierten vergeben. Doch bis dahin sind es noch zwei Monate, eine unendlich lange Zeit in dieser volatilen Lage und keine Möglichkeit für Biden, mit deutlichen Siegen für eine positive Berichterstattung zu sorgen. Und auch der für Juli geplante Parteitag wurde nach anfänglichem Zögern in den August verschoben, er soll jetzt genau eine Woche vor dem Parteitag der Republikaner stattfinden.

Da Bernie Sanders sich zudem noch nicht aus dem Wahlkampf zurückgezogen hat, kann Biden auch keinen definitiven Siegesmoment für sich erklären und sich auf die Hauptwahl fokussieren. Er ist gefangen in einem politischen Schwebezustand. Gleichzeitig profitiert Biden jedoch davon, dass auch für negative Berichterstattung über ihn weniger Raum zur Verfügung steht. So sind die Anschuldigungen von Tara Reade, die Biden eines sexuellen Übergriffs bezichtigt, aktuell kaum ein Thema in der amerikanischen Presse.

Bernie Sanders – Last Exit Milwaukee?

Während Biden noch in den eigenen vier Wänden ausharrt, hat Bernie Sanders immerhin den Vorteil seines Amtes als Senator. In einem historischen Moment konnte er sich thematisch im Senat gut profilieren und Schlagzeilen à la „Sanders slams Republicans over unemployment boost for poorest workers“ generieren. Die Überschneidung der politischen Herausforderung (Coronavirus und das Gesundheitssystem) und deren Konsequenzen mit dem politischen Fokus von Sanders (Ungleichheit und das Gesundheitssystem) erkennt auch der ehemalige Political Outreach Direktor von Sanders, Nick Carter: “For someone who has built a career out of campaigning against the inequality of our health care system, this is prime time.“ Doch auch Sanders befindet sich in einem Schwebezustand. Zwar ist sein Team online und digital versierter als das von Biden, aber aktuell werden lediglich Spenden für Hilfsorganisationen gesammelt und die Kampagne hat in letzter Zeit auch keine teure TV-Werbung eingekauft. An der für April anvisierten Debatte will Sanders laut seinem Team teilnehmen, während Joe Biden dies angesichts der Delegiertenzahlen für überflüssig hält. Es drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob Sanders bis zum Parteitag in Milwaukee durchhalten wird.

Beobachter geben zu bedenken, dass er sich besser mit Joe Biden als mit Hillary Clinton verstehe und, sollte Biden auch entsprechende politische Positionen von ihm übernehmen, sich deshalb noch vor dem Parteitag aus dem Rennen verabschieden könnte. Dennoch sieht die Partei mit Besorgnis die Tendenz einiger Sanders-Unterstützter, Biden mit den gleichen Kritikpunkten anzugreifen, die auch die Trump-Kampagne nutzt. Sanders selbst gibt noch nicht auf und hat erst kürzlich davon gesprochen, dass es noch einen „narrow path” für seine Kandidatur gebe und „that it’s important for him to keep pushing his liberal agenda.“

Donald Trump

Auch wenn der Präsident aktuell keine großen Wahlkampfveranstaltungen im üblichen Format veranstalten kann, darf er sich eines großen Publikums sicher sein. Der Präsident genießt sichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm die häufigen Pressekonferenzen zum Coronavirus bescheren. Genüsslich zitiert er die Einschaltquoten, streitet sich mit Journalisten, lobt sich selbst und bedient in Interviews und auf Twitter fleißig weiter seine Wahlkampfklassiker, sei es die Medien oder die Demokraten betreffend. Der Journalist Fabian Reibold beschreibt die Pressekonferenzen mit den Worten: „Sie sind in ihrer Mischung aus Selbstlob, Nebelkerzen und Attacken Ersatz für seine heiß geliebten, heftig vermissten Massenkundgebungen, die er sonst Woche für Woche abhält“. Noch härter geht die Journalistin Susan Glasser mit Trump ins Gericht: „Just as the Vietnam briefings became a standard by which the erosion of government credibility could be measured then, historians of the future will consult the record of Trump’s mendacious, misleading press conferences as an example of a tragic failure of leadership at such a critical moment.” Zwar werden immer mehr Stimmen lauter, die eine Live-Übertragung der Pressekonferenzen ablehnen, doch die außergewöhnliche Lage und die hohen Einschaltquoten lassen dies unwahrscheinlich erscheinen. Es wird spannend sein zu beobachten, wie viel „free media“ Trump auch im Wahlkampf 2020 dadurch für sich beanspruchen kann – vermutlich ähnlich hohe Zahlen wie 2016.

Als Amtsinhaber der Exekutive profitiert Trump in dieser Krise natürlich, er kann sich als Krisenmanager mit Blick auf die Wiederwahl profilieren, Aufmerksamkeit einfordern und es gibt keine anderen nachrichtlichen Ereignisse, die auch nur annähernd mit der Corona-Krise konkurrieren können. Da verblasst auch das tatsächliche Krisenmanagement, siehe dazu den Blog von Dr. David Sirakov, und die daran geäußerte Kritik. Ob sich dies mit den steigenden Todeszahlen und wirtschaftlichen Einbrüchen ändern wird, werden erst die nächsten Monate zeigen. Die stetig in die Höhe schnellenden Zahlen, seien es die mittlerweile 10 Millionen durch die Corona-Krise arbeitslos gewordenen Amerikaner*innen oder die geschätzten möglichen 100.000-240.000 Toten in den USA, werden auch an Präsident Trump nicht spurlos vorbeigehen können.

Last but not least: Obamacare vor Gericht

Auch wenn die Stunde der Gesundheitspolitik in den USA nun laut und deutlich geschlagen hat, die Diskussion um den Affordable Care Act, oder Obamacare, läuft weiterhin nach den parteipolitischen Mustern. Die Trump-Administration lehnt eine außerplanmäßige Einschreibungsperiode für Amerikaner*innen ab und es wird keinen Relaunch der HealthCare.gov-Seite geben. Dazu schreibt Politico: „[A] special enrollment period for the coronavirus could have extended the opportunity for millions of uninsured Americans to newly seek out coverage. Still, the law already allows a special enrollment for people who have lost their workplace health plans, so the health care law may still serve as a safety net after a record surge in unemployment stemming from the pandemic”.

Zur gleichen Zeit versucht die Trump-Administration, das Gesetz vom Obersten Gerichtshof der USA als verfassungswidrig einstufen zu lassen. Im Oktober will sich der Supreme Court mit dieser Frage befassen, eine Entscheidung könnte demnach aber erst im Juni 2021 erfolgen. Die Terminierung dieses Falls wurde als Sieg für die Republikaner ausgelegt, da nun eine öffentliche Diskussion und Entscheidung erst weit nach dem Wahlkampf und der Wahl am 3. November stattfinden werde. Die Demokraten hatten noch gehofft, das Thema intensiv in ihrem Wahlkampf zu nutzen – was angesichts der eskalierenden Lage im US-Gesundheitssystem vermutlich ohnehin noch passiert. Dies könnte dann wiederum eine Chance für Joe Biden sein, der den Wahlkampf auch in diesem Kontext als Referendum über das Krisenmanagement und die Gesundheitspolitik der Trump-Administration nutzen und sich selbst als Unterstützer von Obamacare präsentieren könnte. Doch warten wir erst einmal ab, wie sich die Lage in den USA in den nächsten Wochen entwickelt - momentan sieht es bedrückend aus.