Tickt die Uhr? Trump und das Impeachment

von Sarah Wagner

Die Debatte um eine mögliche Amtsenthebung von Präsident Donald Trump begann aufgrund seiner umstrittenen Person und Wahlkampagne nahezu zeitgleich mit seinem Amtsantritt und erlebte ihren ersten wirklichen Höhepunkt während der Untersuchungen und insbesondere nach der Veröffentlichung des Berichts von Sonderermittler Mueller. Und obwohl es in den letzten zwei Jahren genügend politische Ansatzpunkte für die Demokraten gegeben hätte (der eben genannte Bericht von Robert Mueller, Emoluments Clause), zögerte die Sprecherin des Repräsentantenhauses und Anführerin der Demokraten, Nancy Pelosi (CA), mit Rücksicht auf ihre Parteikollegen aus konservativen Distrikten mit dem endgültigen Einläuten des Impeachment-Zeitalters. Noch vor wenigen Wochen gab es dafür innerhalb der Demokratischen Partei einfach keine Mehrheit, da ein entsprechend brisantes und für Wähler*innen leicht verständliches Thema fehlte und allgemein die Überzeugung vorherrschte, ein solches Vorgehen würde letztendlich nur Präsident Trump stärken, seine Wählerschaft mobilisieren und die Demokraten von einem inhaltsfokussierten Wahlkampf ablenken. Was ist also passiert in den letzten Tagen und was genau ist eigentlich ein Impeachment?

Impeachment – Anklage, nicht zwingend Amtsverlust

Der Kongress kann den Präsidenten seines Amtes entheben, das ist in der Verfassung verankert und ein wichtiges Element der Gewaltenteilung. Allerdings ist dies nicht mit einem konstruktiven Misstrauensvotum, wie wir es aus dem parlamentarischen Regierungssystem kennen, vergleichbar. Der Kongress hat in diesem Sinne kein Abberufungsrecht, er muss vielmehr dem Präsidenten "Verrat, Bestechung oder andere hohe Verbrechen und Vergehen" nachweisen können. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Impeachment-Verfahren oft mit dem Amtsverlust gleichgesetzt, dem ist jedoch nicht so. Vielmehr handelt es sich um eine Anklage des Präsidenten durch die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Jedes Mitglied des Repräsentantenhauses kann solch ein Verfahren einleiten. Daraufhin nimmt der Rechtsausschuss seine Arbeit auf, führt eine Untersuchung und entwirft (so er fündig wird) Anklagepunkte (articles of impeachment). Diese stehen dann im Repräsentantenhaus zur Abstimmung. Eine einfache Mehrheit reicht hier aus, um die Anklage an den Senat weiterzuleiten. Ein erfolgreiches Impeachment wäre also schon die Verabschiedung der Anklagepunkte mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus. Aktuell haben die Demokraten eine Mehrheit im Repräsentantenhaus, laut neuesten Berichten unterstützt mittlerweile die große Mehrheit der Demokraten die Untersuchung im Rechtsausschuss. Wichtig ist auch zu wissen, dass es sich hier um ein politisches Verfahren auf Basis von (straf)rechtlichen Vergehen handelt. Im Senat wird der Prozess dann ähnlich einem Justizverfahren fortgeführt. Vertreter des Repräsentantenhauses tragen den Fall vor und der Vorsitzende des Obersten Bundesgerichts sitzt in diesem Fall der Verhandlung vor, da der Präsident der Angeklagte ist. (Soll z.B. ein Richter durch ein Impeachment seines Amtes enthoben werden, sitzt der Präsident des Senats dem Verfahren vor). Auch im Senat werden Beweise gesichtet und Anhörungen durchgeführt, bevor es zu einer Abstimmung kommt. Um einen Präsidenten des Amtes zu entheben, benötigt es eine Zweidrittelmehrheit im Senat, also mindestens 67 Stimmen. Die Demokraten bräuchten angesichts der Mehrheitsverhältnisse also noch 20 Unterstützer aus der Republikanischen Partei.

Interessanterweise wurde noch nie ein Präsident in den USA durch ein Impeachment des Amtes enthoben. 1868 scheiterte das Verfahren gegen Präsident Andrew Johnson im Senat, ebenso erging es Bill Clinton im Jahr 1998. Richard Nixon trat 1974 zurück, bevor überhaupt Anklage erhoben werden konnte. Im Falle einer Amtsenthebung rückt der Vize-Präsident nach, in diesem Fall also Mike Pence, es gibt keine vorgezogenen Neuwahlen. Es wird gemunkelt, die Demokraten im Repräsentantenhaus würden gerne noch vor Thanksgiving über die Anklagepunkte abstimmen. Sollte es dann zu einem Verfahren im Senat kommen, werden sich die Augen auf den Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell (KY), richten. Ihm obliegen die Entscheidungen über die Regeln und Abläufe im Senat.

Der Grund

Warum sieht sich Trump aktuell mit den Impeachment-Bemühungen der Demokraten konfrontiert? Zwar aktualisiert und verdichtet sich die Sachlage im Minutentakt, aber ganz grob analysiert geht es um Machtmissbrauch. Der Präsident scheint seinen persönlichen Anwalt, Rudy Giuliani, sowie Teile des Regierungsapparats, hier vor allem das Justizministerium unter William Barr, dazu angehalten haben, politisch kompromittierende Informationen über seinen politischen Rivalen Joe Biden und dessen Sohn Hunter zu sammeln – unter anderem im Ausland. Im Visier hat Trump vor allem Hunter Biden und dessen Tätigkeit als Berater in der Ukraine zu der Zeit, in der Joe Biden als Vize-Präsident mit den Entwicklungen in der Ukraine befasst war. In diesem Kontext hat Trump bei einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten, Wolodimir Selenskij, gefordert, der ukrainische Generalstaatsanwalt solle eine Untersuchung wegen Korruptionsvorwürfen einleiten. Als Druckmittel soll der US-Präsident Finanzhilfen an die Ukraine verwendet haben, deren Auszahlung er zuvor eingefroren hatte und die aber schon vom Kongress bewilligt wurde. Die Beschwerde eines Whistleblower machte den gesamten Vorgang öffentlich und auf Druck freigegebene Auszüge des Gesprächs zwischen Donald Trump und dem Präsidenten der Ukraine, sowie ein Austausch an Textnachrichten zwischen US-Diplomaten scheinen den Eindruck zu bestätigen. Und dies scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein.

Das interessante an diesem Fall ist insbesondere, dass er relativ einfach zu verstehen ist. Es geht um Machtmissbrauch und das Diskreditieren politischer Gegner, kein Vergleich mit der weitaus komplexeren Untersuchung zu den Verstrickungen von Russland im Wahlkampf 2016. Zudem handelt es sich auch nicht um einen Blick in die Vergangenheit, es geht um aktuelle Entwicklungen, welche die Integrität der Wahlen 2020 schwer beeinflussen können – da spitzen so manche Amerikaner*innen schon eher die Ohren. Zusätzlich befeuerte das Weiße Haus mit der Veröffentlichung des Telefonprotokolls noch selbst die Lage, fand sich hierin doch ein Satz von Donald Trump, der für die Schlagzeilen im Kontext des Impeachments ideal war: „I would like you to do us a favor though.“

Die Demokraten – Chance oder Risiko?

Durch diese Sachlage ermuntert und an ihre Verantwortung im politischen System der Checks and Balances erinnert, veröffentlichten am 23. September sieben Demokratische Abgeordnete aus eher konservativen Distrikten einen Meinungsbeitrag in der Washington Post, in dem die gerade erst 2019 in den Kongress eingezogenen Politiker*innen sich für ein Impeachment-Verfahren aussprachen. Nun konnte sich auch Nancy Pelosi, die solch ein Verfahren bis dato immer gebremst hatte, nicht mehr auf eben solche moderaten Demokraten und deren eventuell gefährdeten Wiederwahl-Chancen im Falle eines unpopulären Impeachments berufen. Der erste Schritt war getan. Im Fokus des Meinungsbeitrags stand nicht nur die politische Korruption, sondern auch ernste Befürchtungen, die nationale Sicherheit der USA sei durch den Präsidenten und seine Handlungen gefährdet.

Gleichzeitig tobt jedoch die Diskussion weiter, inwiefern das Verfahren den Demokraten und ihren Wahlkampfchancen 2020 schaden könnte. Werden für die Partei und ihre Wähler*innen wichtige Themen wie z.B. das Gesundheitssystem oder die Einkommensungleichheit zu sehr in den Hintergrund rücken? Wird ein Verfahren die Anhänger von Präsident Trump mobilisieren, besonders in den umkämpften Swing States? Und warum sollte die Partei ein Verfahren einleiten, wenn es doch äußerst schwierig sein wird, es im Senat zum Abschluss zu bringen? Die öffentliche Meinung scheint aber auf den Kurs der Demokraten einzuschwenken. Mittlerweile befürworten immer mehr Amerikaner*innen, neueste Umfragen gehen sogar von 58% aus, die sogenannte Impeachment Inquiry (Untersuchung) im Repräsentantenhaus. Ein Impeachment selbst unterstützen knapp 49%. Damit scheint die aktuelle Strategie die Demokratische Basis zu mobilisieren, die ja entscheidend Druck auf die Partei ausgeübt hat, endlich ein Verfahren gegen Donald Trump anzustrengen. Die Partei argumentiert zudem, dass der Prozess trotz der Mehrheitsverhältnisse im Senat geführt werden muss, da es sich um einen elementaren Bestandteil der politischen Verantwortung des Kongresses handelt. Wenn dieser kein Gegenwicht zum Präsidenten darstellt, wie in der Verfassung vorgesehen, wer dann?

Auch die Frage nach der genauen Durchführung des Verfahrens bleibt spannend. Denn die Prozedur wurde in der Geschichte der USA so selten genutzt und ist in der Verfassung so vage beschrieben, dass sie viel Raum für geschickte politische Manöver lässt. So klagt das Weiße Haus aktuell, dass die Demokraten noch nicht einmal offiziell über den Beginn der Untersuchung im Repräsentantenhaus abgestimmt haben, wie es bei Nixon und Clinton der Fall war, und das Weiße Haus daher nicht verpflichtet ist, allzu umfassend zu kooperieren. Nancy Pelosi argumentiert, dass dies basierend auf den Regeln des Repräsentantenhauses auch nicht der Fall sein muss – zudem habe die Mehrheitspartei mittlerweile „unilaterale […] Macht“, Vorladungen auszusprechen. Dies war unter Nixon und Clinton noch nicht der Fall, daher musste vor diesen Untersuchungen noch offiziell abgestimmt werden. Zudem sichert sich die taktisch versierte Pelosi ohne eine Abstimmung noch mehr Möglichkeiten, den Prozess selbst zu steuern. Sie bräche zwar mit den Präzedenzfällen vorheriger Untersuchungen, aber nicht mit den Vorschriften selbst. Letztendlich scheint es aber auch in dieser Diskussion in erster Linie darum zu gehen, wer das mediale Narrativ bestimmt.

Die Republikaner

Auf Seiten der Republikaner sieht die Lage etwas verhaltener aus. So wird das Telefonat von Donald Trump zum Teil als wehrhafter Kampf gegen die Korruption interpretiert, doch mit jeden neuen Erkenntnissen und Schlagzeilen kämpfen auch die Republikaner um einer kohärenten Verteidigungsstrategie. Bemerkenswert ist, dass die von Trump verbreitete Verschwörungstheorie die Bidens betreffend (denn es gibt bisher keine Beweise für eine Einflussnahme von Joe Biden zugunsten seines Sohnes) mittlerweile aber fest bei den Republikanern und an der Basis etabliert ist. Und die üblichen Kandidaten, die den Präsidenten bisher mit Inbrunst verteidigt haben, kämpfen auch aktuell für ihn. Der Druck innerhalb der Partei, in den nächsten Vorwahlen von vielleicht noch konservativeren Herausforderern besiegt zu werden, erklärt zumindest teilweise die Unterstützung weiter Teile der Partei für Trump. Hier richten viele den Blick auf den Senator aus Utah, Mitt Romney, der das Vorgehen von Trump via Twitter verurteilte und daraufhin prompt von ihm als „pompöser Arsch“ bezeichnet wurde – natürlich ebenfalls via Twitter.

Präsident Trump

Der Präsident selbst ist seiner Partei also im Moment auch keine große Hilfe. Zwar leugnet er jegliche politische Einflussnahmen und Machtmissbrauch, ruft aber gleichzeitig vor laufender Kamera China dazu auf, Hunter Bidens dortige Tätigkeiten doch bitte einmal näher anzusehen. Das Telefonat mit Selenskij sei nach Ansicht Trumps vorbildlich verlaufen, die Untersuchung eine Hexenjagd und ein Putschversuch. Das Weiße Haus hat den neusten Entwicklungen zufolge auch jegliche Kooperation mit den untersuchenden Ausschüssen offiziell verweigert. Eine Handlung, die für die Demokraten ein gefundenes Fressen und eventuell selbst ein weiterer Anklagepunkt sein dürfte. Dennoch droht hier die Gefahr, dass sich ein Impeachment-Prozess dann vor die US-Gerichte verlagert, da das Weiße Haus und wichtige Akteure die Vorladungen aus dem Repräsentantenhaus höchstwahrscheinlich einfach ignorieren werden.

Und nun?

Es könnte eng werden für Donald Trump und dazu muss es nicht einmal zu einer Verurteilung im Senat kommen. Schon jetzt hat das Verfahren ihn politisch beschädigt und wird in den Geschichtsbüchern zu finden sein, denn er ist erst der vierte Präsident, dem diese unrühmliche Ehre zuteilwird. Anstatt eine fokussierte Strategie zu verfolgen, schlägt der Präsident verbal um sich – auf Twitter wie vor der Kamera. Er beleidigt Kollegen aus der eigenen Partei, fordert die strafrechtliche Verfolgung seiner politischen Gegner und teilt nahezu panisch im Minutentakt Inhalte auf Twitter, die ihn angeblich entlasten. Souverän wirkt dies nicht, eher ängstlich und desorientiert. Doch die teils irrwitzigen Tweets von Donald Trump dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die USA in einer handfesten politischen und verfassungsrechtlichen Krise befinden. Wie dieser Stresstest für die Machtverteilung im System der Checks and Balances ausgehen wird, ist zurzeit noch ungewiss.

Für Interessierte an dem Thema empfehlen wir noch den sehr detailreichen Congressional Research Service Report.